Immer Schön Gierig Bleiben
jemand illegal ein Haustier hält, und sei es auch nur einen Hamster, wird der Hamster rausgeklagt. Wenn die Nachbarn ihre Schuhe im Treppenhaus stehenlassen, ist der neue Mieter gegen Fußschweiß allergisch. Die Rechte des Vermieters stoßen heute ganz schnell an ihre Grenzen. Grundbesitzer werden wie Verbrecher behandelt. Eine Nachbarschaftsstreitigkeit, der Konflikt Mieter gegen Mieter, ist etwas völlig anderes. Da tun sich immense juristische Potentiale auf, um die Mieterstruktur nachhaltig zu erneuern. Natürlich kann ein neuer Mieter auch die Mittagsruhe konsequent durchsetzen. Dann liegen die Schaukel und die Buddelkiste, die man für teures Geld gebaut hat, in den vertraglich geregelten Zeiten still und verwaist da.
Und dann kann man zusehen, wie die gewachsene Hausgemeinschaft allmählich bröckelt, wie das muntere Leben zwischen Hausflur, Hof und Garten sich zurückzieht in die eigenen vier Wände, die eben gerade nicht die eigenen sind. Deswegen mache ich mir ja diese Mühe. Und die Leute erkennen die Zeichen der Zeit. Sie treffen eine gute Entscheidung, sie ziehen dorthin, wo sie nicht drangsaliert werden, wo Wohnen keine Mühe macht, wo es flutscht. Sie werden gefügig gemacht und leben fortan auf eigene Faust woanders, dort, wo sie keine menschlichen Hindernisse für die Stadt der Zukunft bilden, sondern diese reibungsfrei lediglich bewohnen.
Zu den glücklichsten Momenten meiner Arbeit gehört es, wenn ein Altbau, der verschwinden soll, vollständig umzäunt mit verschlossenen Fenstern und Türen bereitsteht, und man weiß: Morgen kommen die Bagger. Kein Anzeichen menschlichen Lebens ist mehr dort zu finden, wenn die Abrissbirne zuschlägt. Aber das täuscht. Noch ehe die Baugrube ausgehoben ist, sind die Prospekte schon gedruckt. Die potentiellen Käufer sitzen schon in den Startlöchern. Sie sind bereit für Tiefgarage, Concierge und Dachterrasse.
Das Ganze funktioniert natürlich auch, wenn man einen Veranstaltungsort kleinkriegen möchte. Im Nachbarhaus zieht jemand ein und klagt gegen die Lärmbelästigung. Wenn der Laden pleite ist, ist es so ruhig wie in Würzburg, aber die Quadratmetermiete ist zehnmal so hoch, denn der Alexanderplatz ist nur zwei U-Bahnstationen weit weg. Gedimmte Mitte, heißt das auch. Bestlage im unteren Dezibelbereich.
Diskretion ist alles bei meiner Aufgabe. Ich meine damit nicht die anwaltliche Schweigepflicht. Das sind Kinkerlitzchen. Ich darf nicht in Erscheinung treten. Es muss nach Nachbarschaftsstreit aussehen. Ich bin gar nicht da. Ab und zu zeige ich ein paar Perspektiven auf, erläutere die rechtlichen Optionen, ermuntere, rate ab. Das ist nicht illegal, das ist kreativ. Die großen Fische fressen die kleinen. Die schnellen Tiere die langsamen, die Einfallsreichen die Dummen.
Vielleicht hat diese spezifische Verschwiegenheit dazu geführt, dass ich eine Frau geheiratet habe, mit der ich nicht viel zu reden hatte.
Ich habe dich geheiratet, weil du so langweilig bist
. So etwas kann man einer Frau nicht sagen, jedenfalls nicht wörtlich.
Weil du so in dir ruhst. Weil du so berechenbar bist. So verlässlich
. Ich habe mir eine Frau gesucht, ein Kind gezeugt, eine Eigentumswohnung mit Wasserblick gekauft, alles wie es sich gehört. Ich mag es gerne, wenn ich die Dinge unter Kontrolle habe. Die Dinge und die Menschen.
15
»Da ist schon wieder eins von diesen Dingern«, sagte Nicola Hensel und trug ein Plastikschälchen so vorsichtig zum Empfangstresen, als sei es eine Portion Wackelpudding.
Monika Gehrig, ihre vier Jahre ältere Kollegin, hob den Kopf von einem Stapel mit Krankenscheinen und verzog keine Miene. »Was hat dein Verehrer denn heute für dich gezaubert? Kandierte Qualle?«
»Nur kein Neid«, sagte Nicola und klappte den Deckel des Styroporschälchens auf. Sie begutachtete den Inhalt und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Der Große Unbekannte hatte sich wieder ins Zeug gelegt. Drei Nigiri mit Lachs, Thunfisch und Shrimp, dazu sechs Inside-Out-Röllchen mit Avocado und Krebsfleisch, sechs Maki mit Thunfisch. In einer Ecke des Schälchens lag ein dicker Klecks Wasabi, schräg gegenüber ein Häufchen eingelegter Ingwer. In dem Wasabi steckte wie immer einer dieser Sonnenschirme aus buntem Papier, die es sonst auf Eisbechern gab. Darauf waren mit schwarzem Glitzerstift ihre Initialen geschrieben:
N. H
.
»Vielleicht sind sie vergiftet oder nicht mehr frisch«, hatte Monika gesagt, als die erste anonyme Sushi-Lieferung auf dem Fußabtreter
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