Immer Schön Gierig Bleiben
der Zahnarztpraxis Klemke in der Hauptstraße in Schöneberg gestanden hatte. Monika hatte hoffnungsvoll geklungen, als sie diese Vermutung geäußert hatte. Nicht weil sie Nicola den Tod oder eine Fischvergiftung gewünscht hätte – die beiden verstanden sich gut, auf einer kollegialen Ebene, ohne viel voneinander zu wissen. Monika hätte es nur lieber gesehen, wenn sie das Objekt anonymer Aufmerksamkeiten gewesen wäre.
Nicola mochte Sushi, sie hatte auch schon mal einen Kurs gemacht bei einem kleinen drahtigen Koreaner, dessen Kochstudio sich in Moabit befand. Dass Monika dringend einen Freund suchte oder wenigstens ein Techtelmechtel oder wenigstens eine Nacht mit einem Mann, so viel wusste Nicola über ihre Kollegin. Nicht zuletzt, weil Monika ihre diversen Dating-Portale und Singlebörsen während der Arbeitszeit pflegte. Dabei stieß sie tiefe Seufzer aus und fluchte laut, wenn sie ein besonders bescheuertes Anschreiben oder eine Absage in letzter Minute erhalten hatte. Manchmal schnalzte sie auch mit der Zunge, wenn ein verheißungsvoller Kandidat an sie herangetreten war. Dass Nicola jetzt einen Verehrer hatte – und beide Frauen waren sich einig, dass die Lunchpakete der Liebe nur von einem Mann stammen konnten –, das traf Monika, obwohl sie Sushi nicht mochte.
Nicola wusste nicht so recht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Selbstverständlich hätte sie das Sushi mit Monika geteilt, wenn auch sicher nicht den Mann, der es zubereitet hatte.
Auch Nicola war Single, aber sie litt nicht so unter diesem Zustand wie Monika. Eigentlich litt sie überhaupt nicht darunter. Sie hatte einen Beruf, der ihr gefiel und sie forderte, ohne dass sie im Dauerstress war. Sie hatte einen Freundeskreis, Frauen und Männer, ja, auch Singlemänner waren darunter, Leute, mit denen sie gern Zeit verbrachte. Groß genug war ihr Freundeskreis, um keine Clique zu werden, klein genug, damit Nicola niemanden vernachlässigen musste.
Ein Mann, der richtige Mann, würde irgendwann kommen, genau wie dieser Job gekommen war, der zu ihr passte, und die Wohnung kurz darauf. Da war sich Nicola sicher. Genauso wie sie sich sicher war, dass das Sushi von niemandem kam, den sie kannte. Aber woher kannte er sie? Woher wusste er, dass Nicola Sushi mochte?
Der Große Unbekannte, er machte Nicolas Leben aufregend und beflügelte ihre Phantasie. Sie fand rohen Fisch mit Meerrettich romantisch, genauer gesagt, fand sie ihre Initialen auf dem Schirmchen romantisch. Für dich. An dich habe ich gedacht, als ich den Wasabi aus der Tube gepresst, als ich den Fisch filetiert habe, sagten die Initialen. Sushi zubereiten, das war eine Kunst. Und die kleinen Häppchen sahen so zierlich und ausgeklügelt aus wie Pralinen.
Monika war neidisch auf etwas, was sie gar nicht haben wollte. Das irritierte Nicola eigentlich viel mehr als die Sushi-Schälchen, die ungefähr alle drei Wochen bei ihr auftauchten.
Kurz nach neun Uhr floss in The Harp das Guinness noch nicht in Strömen, nur ein frühes Touristenpaar saß draußen vor den S-Bahn-Bögen. Sie studierten den Reiseführer auf Französisch und tranken Orangensaft.
Bördensen betrat den Schankraum und schloss die Augen, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, die ihn umfing. Im Licht der Deckenlampen nahm er allmählich Einzelheiten wahr.
Die Stühle waren auf die Tische gestellt, an den Wänden hingen Bilder in Metallrahmen: Bierwerbung, alte Stadtansichten, Musikkapellen mit Geige, Mandoline, Kontrabass. Es roch nach Malz und vergrölten Nächten.
Hinter dem langen Tresen stand eine Frau mit kurzen roten Haaren und Sommersprossen. Sie spülte Gläser und spähte immer wieder hinaus auf den Vorplatz, ob sich weitere frühe Gäste an einen der Tische setzten.
Bördensen holte das Monatsprogramm aus Verena Adomeits Wohnung aus seiner Tasche und hielt es der Frau unter die Nase.
Sie sah kurz von ihrer Arbeit auf und zuckte dann mit den Schultern. »Hier bist du richtig, nur ein bisschen früh am Tage.«
»Bördensen, Kriminalpolizei. Wir haben diesen Flyer in der Wohnung einer Frau gefunden, die am Dienstag ermordet worden ist, Verena Adomeit.«
»Der Name sagt mir nichts.«
»Verschicken Sie die Dinger mit der Post?«
Die Frau nickte. »Ja, tun wir.«
Eine andere Frau kam vorbei, auch sie war rothaarig.
»Ist rothaarig hier Bedingung?«
Die Kurzhaarige nickte und grinste. »Alle Bayern tragen Lederhosen, alle Brasilianer tanzen Samba, und alle irischen Mädchen sind rothaarig. Ohne
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