Immer Schön Gierig Bleiben
Halden besiedelt und bewohnbar gemacht hatten, achteten sehr genau darauf, dass ihnen niemand aus den etwas ungeordneten Verhältnissen einen Strick drehte. Es gab keine Hausnummern und Straßen, keine Arbeitsplätze im klassischen Sinn und auch so einiges andere nicht, was ansonsten zum Standard gehörte.
Zabriskie versuchte, sich die wenigen Male ins Gedächtnis zu rufen, als sie mit Haeckel privat gesprochen hatte. Er war alleinstehend. Er hatte Aufsätze veröffentlicht, in denen er dafür plädierte, Augen nicht nur als Sehorgan, sondern als einen der Orte im Körper zu sehen, in denen Erinnerungen abgespeichert werden. Und einmal hatte er gesagt, er würde gern am Wasser leben. Und ein Labor wollte er, für sich allein. Sie überlegte. Die Charlottenburger Halde erstreckte sich über den gesamten ehemaligen Schlosspark, die Spree floss daran vorbei. Dann die Halde am Tegeler See, viele Möglichkeiten. Leider wusste sie Haeckels genaues Geburtsdatum nicht. Zwei Jahre bevor er rausgeflogen war, hatte er seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert. Im Februar musste das gewesen sein. Das musste reichen. Die letzte Meldeadresse von Haeckel war in Lichtenberg gewesen, in der Nähe vom Volkspark. Falls er einen Unfall gehabt hatte, wäre er im Krankenhaus am Friedrichshain eingeliefert worden.
Zabriskie griff zum Telefon und ließ sich mit der Datensicherheit des Krankenhauses verbinden. Das hatte sie im Lauf der Jahre gelernt. Mittlerweile berief sich jeder Mitarbeiter auf Datenschutz. Die Einzigen, mit denen man reden konnte, waren die hausinternen Datenschützer.
Sie sagte ihre Verkaufsargumente auf: Mord, Kontaktlinse, Augenexperte, ehemaliger Mitarbeiter, abgemeldet. »War Professor Haeckel in den letzten fünf Jahren bei Ihnen in Behandlung?«
Der Datenschützer kaufte ihr die Geschichte ab, aber eine Spur zu Haeckel hatte er nicht.
In den nächsten beiden Krankenhäusern biss Zabriskie auf Granit. »Nur mit richterlichem Beschluss.«
Beschluss? Das war noch nicht einmal eine offizielle Ermittlung. Es war der Schatten eines Strohhalms.
Der Kollege in der Charité war maulig und abweisend, immerhin konnte Zabriskie ihm entlocken, dass er nur ein untergeordnetes Helferlein war. Dann kam zum Glück der Chef ins Zimmer und siehe da, mit dem Boss konnte sie reden.
»Mord, sagen Sie?«, sagte der Oberste Datenschützer. »Ich werde mal nachsehen.« Die Tastatur klackerte. Dann sagte der Mann in der Leitung: »Autsch.«
Zabriskie zuckte zusammen.
O bitte, lass ihn nicht tot sein
. Ihr dämmerte, dass sie eine Möglichkeit übersehen hatte. Haeckel lag im Koma. Deshalb war er nicht im Sterberegister aufgetaucht.
»Straßenbahnunfall am Alexanderplatz, 7. August 2009.«
»Und?«, krächzte Zabriskie.
»Er hat einen Fuß verloren, nichts mehr zu machen. Er war hier bei uns, gut vier Wochen einschließlich der Reha.«
»Und dann?«
»Treptower Halde, am 9. September. Moment, ich sehe hier gerade was in den Notizen.« Wieder klackerte die Tastatur. »Es gab einen Streit mit dem Fahrer des Krankenwagens.«
Das sah Haeckel ähnlich. Drama Queen.
»Der Patient wollte bis vor die Haustür gefahren werden. Aber gesetzlich vorgesehen ist nur bis zum Haupteingang.«
»Kann man denn auf der Halde überhaupt fahren?«
»Offenbar gibt es eine Trasse für die Müllautos. Haeckel lebte wohl im hinteren Teil der Halde.«
»Am Wasser?«
»Keine Ahnung. Gleich beim Kopf.«
»Wo?«
»Gleich beim Kopf. Das hat Haeckel damals dem Fahrer gesagt, bevor er vor die Tür gesetzt wurde. Wo gibt es in Treptow einen Kopf?«
Stiesel hatte sich den Bericht gegriffen, den Dorfner über den arretierten Torsten Heimann verfasst hatte.
Vernehmungsmethoden, die den aktuellen Stand der Geständnispsychologie berücksichtigen, konnten wegen der Wehleidigkeit des Verdächtigen leider nur in Ansätzen Anwendung finden
, hatte Dorfner in einem Vermerk notiert.
Aus dem Vernehmungszimmer war nichts zu hören, als Stiesel aufsperrte. Das war ein gutes Zeichen. Die Phase des lautstarken Jammerns war in die Phase dumpfen Brütens übergegangen. Gutes Timing. Stiesel schloss die Tür auf.
Torsten hockte auf dem Boden und sah zu Stiesel hoch. Stiesel stellte eine PET-Flasche Wasser und zwei Becher aus Styropor auf den Tisch. Er setzte sich an den Tisch und sagte: »Wir müssen uns ein bisschen unterhalten. Du stehst unter Mordverdacht.«
»Wir duzen uns nicht. Ich kenne meine Rechte«, knurrte Torsten und legte den Kopf auf die Knie.
»Das
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