Immer Schön Gierig Bleiben
Schreiner.
»Sie nehmen Ihren Kaffee mit Erbse?«
»Einfach nur eine Erbse«, sagte der Schreiner. Er ging in die Knie und federte zweimal ganz langsam auf und ab. »Oder etwas, das man rollen kann.«
Pachulke überlegte einen Moment, dann ging er in die Kleiderkammer und holte aus seinem Boule-Set die Zielkugel heraus.
Cochonnet
nannten sie die Franzosen, Schweinchen.
Der Schreiner stellte sich in die Zimmertür und rollte das Schweinchen der Länge nach über die Dielen. Erst rollte die kleine Kugel geradeaus, aber dann zog sie unwiderstehlich nach rechts auf die große Regalwand zu. Menz stellte sich vor das Fenster und wiederholte den Versuch. Auch diesmal wurde das Schweinchen von den Regalwänden mit den Schallplatten wie magisch angezogen. Schreiner Menz legte die Stirn in Falten.
Er ging in den benachbarten Raum. Pachulke folgte ihm auf dem Fuß. Auch hier gab es ein riesiges Plattenregal. Menz rollte die Kugel ein drittes Mal, und auch hier blieb sie nicht in der Spur.
Menz ging zurück ins Wohnzimmer, wo Pachulke den Tee bereitgestellt hatte. Der Schreiner setzte sich an den Tisch und nippte an seiner Tasse. »Federn die Dielen?«, fragte er.
»Nun ja, wenn ich darüber laufe«, sagte Pachulke.
»Ich weiß, dass Ihnen das jetzt nicht gefallen wird«, sagte Menz. »Aber ich kann es nicht verantworten, in diese Wohnung ein weiteres Regal hineinzubauen. Die Dielen sind durch die einseitige Belastung völlig verzogen. Zusätzliches Gewicht kann dazu führen, dass die Böden durchbrechen. Dann rauschen Sie hier eine Etage nach unten, vielleicht auch zwei.«
Pachulkes Kaffeetasse klirrte, als er sie auf die Untertasse stellte. »Aber ich habe doch neue Platten ersteigert. Die brauchen doch ein Zuhause.«
»Wenn Sie in diese Wohnung noch mehr reinschleppen, dann haben nicht nur Ihre Platten, sondern auch Sie bald kein Zuhause mehr.«
»Nur weil diese Boule-Kugel ein wenig schräg gelaufen ist?« Pachulke rührte in seiner Tasse, obwohl er den Kaffee schwarz und ohne Zucker trank.
»Nein, mir ist das schon aufgefallen, als ich reinkam. Das ganze Zimmer hier steht auf der Kippe, der Boden ist völlig verzogen.«
»Aber was wird denn jetzt aus meiner Plattensammlung?«
Schreiner Menz zuckte mit den Schultern. »Verkaufen, würde ich sagen. Wenn Sie das verhökern, was hier rumsteht, können Sie sich ein Ferienhäuschen kaufen von dem Geld oder eine Weltreise machen.«
»Verkaufen? Haben Sie verkaufen gesagt?«
»Und vorher digitalisieren lassen, das …«
»Niemals, digital kommt mir nicht ins Haus. Das ist diese Krüppelkieferakustik, verschrumpelt und verzwergt. Das habe ich vor Jahren gehört, das geht gar nicht.«
»Ist aber schon viel besser geworden, die Digitalisierungstechnik für Schallplatten.«
»Völlig ausgeschlossen.«
»Oder Sie ziehen um, kaufen sich ein Einfamilienhäuschen mit einem großen, trockenen Keller, da können Sie alles einlagern, ohne dass die Dielen brechen. Aber denken Sie daran: Ihre Verwandten werden Sie verfluchen, wenn Sie ihnen diese Sammlung hinterlassen.«
»Ich habe keine Verwandten.« Pachulke trank mit Nachdruck. »Und diese Sammlung wird mich überdauern und irgendwann in einer musikwissenschaftlichen Bibliothek aufgehen.«
»Wie Sie meinen, ich hab’s ja nicht böse gemeint.« Menz stand auf.
»Sie wollen schon gehen?« Pachulke fuhr auf.
»Hier darf nichts mehr rein. Nichts.«
»Nicht mal eine Single? Ach kommen Sie, so ein paar Singles vom Flohmarkt …«
»Das Risiko würde ich nicht eingehen.« Menz überflog die Regale. »Vielleicht gibt es ja die eine oder andere Platte, die nicht so wichtig ist. Wenn Sie die Dielen allmählich entlasten, regenerieren die sich wieder. Holz ist ein natürliches Produkt, das hält was aus.«
»Alle sind wichtig«, schnappte Pachulke. »Denn alle sind die Sammlung.«
Menz zückte eine Visitenkarte. »Hier, da hat mein Bruder seine Sammlung digitalisieren lassen, lauter alte Bluesplatten. Er ist sehr zufrieden.«
Pachulke schnaubte durch die Nase, steckte die Karte aber ein. Zwischen den Zähnen murmelte er ein »Danke«.
Als der Schreiner gegangen war, musste Pachulke die beiden Tassen separat in die Küche tragen, so sehr zitterten ihm die Hände. Er warf den Teebeutel in den Müll und stellte die Tassen in die Spülmaschine. Dann lief er auf Zehenspitzen zurück ins Wohnzimmer. Er setzte sich an den Tisch. Das mit den Singles vom Flohmarkt konnte er verschmerzen, morgen war eh die Geburtstagsparty von
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