Immer Schön Gierig Bleiben
den Lebenden«, sagte die Verkäuferin. Ihre Stimme hatte jetzt einen resoluten, dozierenden Ton bekommen. »Siebzig Prozent aller Männer kaufen überhaupt keine Kosmetika. Für siebzig Prozent von denen, die keine Kosmetika kaufen, kaufen die Frauen oder Lebenspartnerinnen Zahnpasta und Duschgel und Deoroller. Zwanzig Prozent holen sich Pröbchen aus Drogerien und reißen sich das Zeug aus Frauenzeitschriften heraus. Außerdem hamstern sie das, was sie bei Hotelaufenthalten finden. Zehn Prozent benutzen gar keine Kosmetika. Von den dreißig Prozent der Männer, die Kosmetika kaufen, tun das siebzig Prozent für Frauen, dreißig Prozent für sich selbst. Von denjenigen, die Kosmetika für sich selbst kaufen, haben siebzig Prozent Angst, deswegen für schwul gehalten zu werden, die anderen dreißig Prozent sind schwul. Von denjenigen Männern, die keine Kosmetika benutzen, glauben ebenfalls siebzig Prozent, schwul zu sein, weil sie niemals Kontakt zu einer Frau bekommen. Den anderen dreißig Prozent sind Frauen, Menschen ganz allgemein, vollkommen egal.«
»Dreißig Prozent von siebzig Prozent von dreißig Prozent? Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
»Das macht nichts, Zahlen sind im Grunde gar nicht so wichtig.« Sie nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche.
Eine Frau pirschte sich vorsichtig an, um in einem passenden Moment ihr Anliegen vorzutragen. »Gehen Sie zu einer Kollegin«, sagte die Verkäuferin zu ihr. »Sie sehen doch, dass ich beschäftigt bin. Der Kunde hier hat erhöhten Beratungsbedarf.«
Pachulke zückte ein Foto. »Wie würden Sie diese Frau schminken?«, fragte er.
Sie riss den Mund auf. »Ist das eine von den Toten?«
»Ja, aber auf dem Foto hat sie noch gelebt. Ich habe aber auch ein Foto vom Tatort dabei, wenn Sie mal vergleichen wollen.«
»Nee, danke, ist schon in Ordnung.« Die Verkäuferin nahm das Foto von Verena Adomeit, das Pachulke auf ihrer Website gefunden hatte. Auf dem Foto hatte sie noch braune Haare gehabt.
»Irgendwas nicht ganz so Helles würde ich nehmen«, sagte die Verkäuferin. »Zu den Haaren passen weiche Brauntöne. Sie hat … hatte ja auch einen eher kräftigen Teint.«
»Sehen Sie, genau das hat sich der Mörder auch gedacht. Nur war die Frau am Tag vor ihrer Ermordung beim Friseur und hat sich die Haare blond färben lassen.«
»Dann passte das Make-up nicht mehr?«, fragte die Verkäuferin.
»So ist es«, sagte Pachulke.
»Das heißt, er hat sie sich vorher ausgekuckt.«
»Wieder richtig. Noch eine richtige Antwort, und Sie können bei uns anfangen.«
»Muss ich mir dann Tatortfotos ansehen?«
»Unbedingt.«
»Dann lieber nicht.«
»Eine Frage habe ich noch.«
»Die zweite Leiche?«
»Nein. Ganz allgemein: Wie fühlt es sich an, jemanden zu schminken?«
»Mann, Sie stellen Fragen. Es ist halt ein Job. Allen wird eingeredet, sie könnten wie ein Supermodel aussehen, aber das stimmt nicht. Make-up und Schönheitspflege machen aus niemandem einen anderen Menschen. Ein versautes Make-up kann einen auch entstellen. Man hat schon eine Menge Verantwortung.«
»Macht … Würden Sie sagen, Sie haben Macht, wenn Sie jemanden schminken?«
»Wenn ich gerade schminke, habe ich sicherlich Macht. Aber letztendlich sitzt die Kundin am längeren Hebel. Wenn sie sich bei meiner Chefin beschwert, habe ich ein Problem.«
»Aber eine Tote, die geschminkt wurde, beschwert sich nicht mehr«, sagte Pachulke. »Haben Sie schon mal eine Kundin mit Absicht versaut?«
Die Verkäuferin wurde knallrot. »Was soll denn das jetzt? Sie sind gar kein Polizist? Testkunde oder was?«
»Nein, ich bin ein echter Kriminalbeamter, wirklich. Wir wollen verstehen, warum der Mörder seine Opfer schminkt, und Sie sind eine Expertin. Also, bitte beantworten Sie meine Frage.«
Die Verkäuferin holte tief Luft. »Ja, es gibt Kundinnen, die sind mit nichts zufrieden. Kann sein, dass die eine oder andere mal mit einem schiefen Mund hier raus ist.«
»Oder mit einem blauen Auge?«, fragte Pachulke
Die Verkäuferin musste lachen. »Ein bisschen blutunterlaufen sah es aus, manchmal.«
Pachulke zeigte zur Men’s Beauty Care hinüber. »Was machen Sie eigentlich mit Männern, die sich pflegen lassen und lästig werden?«
»Da müssten Sie meine Kolleginnen fragen. Aber der Klassiker ist ja, der Mann hat die Augen zu, entspannt sich, die Hand fällt von der Armlehne und streift wie zufällig den Oberschenkel.«
»Und?«, fragte Pachulke.
»Dafür gibt’s dann den Q-Tip
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