Immer Schön Gierig Bleiben
zwölf, da ging das richtig los bei mir in der Schule. Und was ich fühle? Ich werde selbstsicher, wenn ich mir gefalle. Ich kann etwas ausstrahlen. Ich kann mich ausprobieren. Ich versuche jeden Morgen, gut auszusehen. Aber wieso fragen Sie?«
»Ich bin bei der Polizei, und wir suchen einen Frauenmörder, der seine Opfer schminkt, nachdem er sie umgebracht hat.«
»Und Sie denken, dass ich …?« Die Frau schniefte und holte ein Taschentuch unter dem Tresen hervor.
»Nein, überhaupt nicht. Wir sind uns sicher, dass der Täter ein Mann ist. Wir kommen bloß mit dem Schminken nicht klar. Das ergibt kein Motiv. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie sich mit dem Schminken etwas Gutes tun und dass Sie sich dadurch verwandeln?«
»Könnte man so sagen.« Sie putzte sich ganz vorsichtig die Nase.
»Ich hoffe, das kommt jetzt nicht ungelegen, diese Fragerei.«
»Nein, gar nicht. Wir sind ja schließlich dazu da, die beruflichen Probleme unserer Kunden anzuhören, nicht wahr? Darf ich Ihnen jetzt ein Taxi rufen?« Sie griff zum Hörer, wählte eine Kurzwahl und bestellte einen Wagen zum Auktionshaus. »Sie können mit dem Aufzug mit mir nach unten fahren.«
»Zum Bahnhof Südkreuz, die Seite Naumannstraße, aber der Hintereingang.«
»Hintereingang?« Der Taxifahrer kratzte sich am Kopf. »Lassen Sie mich nur machen.«
Am Südkreuz ließ Pachulke das Taxi an der separaten Einfahrt halten, die zur Polizeiwache im Bahnhof führte. Gleich nebenan, das wusste Pachulke, waren die Schließfächer. Dem diensthabenden Beamten erklärte er, er müsse für ein paar Tage Beweismaterial hier einlagern, für das er in seinem Büro keinen Platz mehr habe. Die Raumnot, er werde das sicher verstehen.
»Sie können das auch sehr gerne hier bei uns abstellen«, sagte der Beamte.
»Bedaure, das ist nicht möglich«, sagte Pachulke. »Zu brisant.«
Mit dem Taxifahrer wuchtete er die sechs Plattenkisten in drei große Schließfächer. Er beorderte einen Beamten dazu ab, die Schließfächer zu bewachen und ließ sich einen FünfzigEuro-Schein in Münzen wechseln. Als er alle drei Schließfächer für die nächsten zweiundsiebzig Stunden mit Münzen versehen hatte, war er beinahe pleite. Aber wer brauchte schon Quark, wenn es Knäckebrot in so vielen leckeren Geschmacksrichtungen gab. Die
Studio Sessions
waren für die nächsten drei Tage in Sicherheit, das, und nur das zählte.
22
Dorfner war überpünktlich zu der angegebenen Adresse in Tempelhof gekommen. Er war der erste und behielt diese Position auch inne, als ein oder zwei Leute versuchten, sich an ihm vorbeizudrängeln. Dorfner rollte zweimal mit den Schultern, und dann war Ruhe. Schließlich kamen die Makler, sie waren zu zweit. Ein kleiner, drahtiger Typ in einer teuren Jeans und einem blauen Hemd. In der Brusttasche steckte ein Kugelschreiber, und einige blaue Striche an der Brusttasche zeugten davon, dass er beim Einstecken des Stiftes ein paarmal daneben gezielt hatte. Die Maklerin trug ein braunes Kostüm und eine riesige Brille mit einem breiten braunen Rahmen. Sie musterte jeden der Bewerber, als könnte sie mit Röntgenaugen die Solvenz und die Zahlungsmoral ablesen. Dorfner stiefelte dem Makler hinterher die Treppen nach oben.
Die Wohnung war in Ordnung. Es war ein Nachkriegsbau in einer kleinen Seitenstraße des Tempelhofer Damms, genau zwischen zwei U-Bahnhöfen. Sie war kleiner als Dorfners jetzige Wohnung. Sie hatte ein sinnlos großes Bad und einen winzigen Balkon, aber das war egal. Dorfner beobachtete die Mitbewerber. Es waren einige Paare, eines hatte ein kleines Kind dabei. Ihn interessierte vor allem der
ausgeb. Keller
, der in der Anzeige erwähnt worden war. »Und er ist trocken, sagen Sie?«, fragte Dorfner. »Und abschließbar?«
»Voll ausgebaut«, erwiderte der Makler, während er schon Bewerbungsbogen verteilte. »Feuerschutztür mit Zylinderschloss.« Zu allen Interessenten gewandt sagte er: »Ich gehe jetzt mit Ihnen in den Keller. Bitte schicken Sie die Bewerbungsbogen bis spätestens kommenden Dienstag an unsere Adresse, und vergessen Sie nicht die Mietschuldenfreiheitsbescheinigung Ihres jetzigen Vermieters und die Verdienstbescheinigung.«
Der drahtige Typ setzte sich in Bewegung, und Dorfner und die meisten Interessenten folgten ihm nach unten. Als sie in die Durchfahrt traten, verließen einige Leute die Besichtigungstour. Es waren nur noch zwei, die den Keller sehen wollten, Dorfner und ein anderer Mann in einem Straßenanzug und
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