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Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Scoppettone
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um die
Ecke«, sagt sie ernst.
    Die Frau wendet sich von mir ab, und
ich schaue wieder zum Wagen, rechtzeitig um zu sehen, wie ein magerer Junge mit
Armen wie Hähnchenbrustknochen etwas wirft, das die Windschutzscheibe in ein
byzantinisches Mosaik verwandelt.
    Es gibt Jubel und Beifall.
    Der Alarm geht weiter.
    »Entschuldigen Sie«, sage ich wieder,
zu niemand Bestimmtem.
    Mehrere Leute sehen mich an, mit offen
feindseligem Blick. Niemand sagt etwas.
    »Warum rufen Sie nicht die Polizei?«
frage ich.
    Dies bringt die gewünschte Entspannung,
alle lachen. Sie wenden sich von mir ab und jemand sagt: »Da kommt Lou.«
    Ich folge ihrer Blickrichtung.
    Ein winziger Mann, etwa zwanzig,
glänzendes schwarzes Haar, von vorzeitigem Grau durchzogen, der ein schwarzes
T-Shirt und alte Jeans trägt, kommt mit einem roten Eimer die Bleecker
herunter. Was auch immer darin sein mag, es ist schwer, denn Lou geht nach
links gebeugt.
    »Lou, hast du’s?«
    »Was hast du denn gedacht?«
    »Er hat es.«
    »Lou hat es.«
    »Wo hast du es her?«
    »Spielt keine Rolle.«
    »Er hat es.«
    »Lou hat es.«
    »Wußte, daß er es schafft.«
    »Wo hat er es her?«
    »Hat er nicht gesagt.«
    »Hast du’s, Lou?«
    »Ich hab es.«
    »Er hat es.«
    Ich habe das Gefühl, daß ich gleich
schreien werde. Zu der Frau, die ich vorhin schon angesprochen habe, sage ich:
»Was hat Lou geholt?«
    Wieder beäugt sie mich mißtrauisch. »Benzin.
Lou hat Benzin geholt. Wer will das wissen?«
    Ich glaube nicht, daß sie tatsächlich
eine Antwort darauf will, denn sie wendet sich ab, dreht sich zu Lou und den
anderen. Nicht lange, und mir wird klar, daß diese Leute das Benzin über den
Wagen kippen und anzünden werden. Sie müssen wahnsinnig sein.
    »Warten Sie«, schreie ich, als Lou auf
den Wagen zugeht.
    Er bleibt stehen, starrt mich an,
stellt den roten Eimer auf den Gehsteig. »Ja, was wollen Sie?«
    »Was haben Sie vor?«
    »Diesen Scheißwagen um die Ecke
bringen.«
    »Sie wollen das Benzin darüber kippen
und es dann anzünden?«
    »Ja. Irgendwelche Einwände?«
    »Das ist ein krimineller Akt«, erkläre
ich und weiß, noch während ich es sage, daß es sie nicht im mindesten
interessiert, was es ist. »Wer ist der Eigentümer?«
    »Wenn wir das wüßten, Lady, brauchten
wir den Scheißwagen nicht um die Ecke zu bringen, wir würden es einfach mit dem
Scheißeigentümer machen.«
    Alle lachen.
    »Das hier ist ein scheißlautes
Fahrzeug, und es wird sterben.«
    »Aber der Alarm hört bald von selbst
auf«, sage ich schlauerweise. Solche Autosirenen laufen etwa zwanzig Minuten,
dann schalten sie sich aus.
    »Wann ist bald? Dieses verdammte Ding
schrillt seit vier Stunden« — er sieht auf seine Uhr — »und einundzwanzig
Minuten.«
    Vielleicht sind es Haussirenen, die
sich nach zwanzig Minuten abschalten, denke ich.
    »Mach weiter, Lou.«
    »Mach es.«
    »Lou wird es tun.«
    »Er hat das Benzin.«
    »Komm schon, fangen wir an.«
    »Lou macht es.«
    Und Lou macht es tatsächlich. Er nimmt
den Eimer und geht gemächlich um das Auto herum, spritzt dabei Benzin auf die
Kotflügel, Motorhaube, Dach und Heck.
    »Spar dir was für den Schwanz auf.«
    »Lou hebt schon was auf.«
    »Er spart etwas für den Schwanz auf.«
    »Verbrauch nicht alles, Lou.«
    »Tu ich nicht.«
    »Er braucht es für den Schwanz.«
    »Lou hebt einen Teil für den Schwanz
auf.«
    Als Lou mit dem Begießen des Wagens
fertig ist, legt er sorgfältig eine dünne Spur vom hinteren Teil des Autos bis
zur Mitte der Bleecker Street. Der vielzitierte Schwanz, nehme ich an.
    »Na schön, alle zurück«, sagt Lou.
    »Geht zurück.«
    »Tretet zurück.«
    »Bewegt euch oder ihr seid weg.«
    »Wie weit, Lou?«
    »Weit.«
    »Geht weit zurück.«
    »Ihr habt es gehört. Zurück.«
    »Ist das weit genug?«
    »Nein. Weiter.«
    »Kommt, Mädchen, zurück.«
    »Lou sagt, wir sollen zurückgehen.«
    »Zurück, zurück.«
    Die Männer scheuchen Frauen und Kinder
auf die Leroy Street.
    »Hören Sie zu«, sage ich, »wenn Sie das
anzünden, wird der Wagen explodieren.«
    »Tatsächlich?« sagt Lou sarkastisch.
»Das wußte ich nicht. Wußtest du’s, Richie?«
    »Nee. Wer hätte das gedacht?«
    »Sie können großen Schaden anrichten«,
lasse ich nicht locker.
    »Ach nee! Schaden«, sagt Richie, als ob
ich verrückt wäre. »Lou, diese Lady glaubt, wir werden diesen Scheißwagen
beschädigen.«
    »Nee, keine Sorge, Lady, wir werden
diesen Scheißwagen nicht beschädigen, wir werden diesen Scheißwagen

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