Immer wenn er mich berührte
las ihr jeden Wunsch von den Augen ab – aber sie liebte ihn leider nicht. Heute fand sie ihn sogar unerträglich.
Vorsichtshalber sprach sie bereits in der Pause von Kopfschmerzen. Nach dem Stück, in der Garderobe, drückte sie seinen Arm ein bißchen: »Sei mir nicht böse, Rolf, ich fühle mich nicht gut. Ich möchte gleich heimfahren.«
Nun, das klappte prima. Sie war kurz nach halb elf Uhr bereits zu Hause. Sie zog sich in ihrem Zimmer um. Sie fand das schwarze, festliche Kleid ziemlich unpassend. Nur kurz zögerte sie vor ihrem Kleiderschrank, dann entschloß sie sich für den sandfarbenen Hausanzug. Ein süßes Modell von Courrèges, letzten Herbst in Paris gekauft. Nur die Haare mußte sie sich dazu anders frisieren und für die Lippen ein dunkleres Rot nehmen.
Als Gaby unten den riesigen Wohnraum betrat, stellte sie überrascht fest, daß dieser Herr Siebert allein in einem Sessel saß, eine Zigarette rauchte und in einem Modejournal blätterte.
»Nanu«, fragte sie, »wo ist denn mein Vater geblieben?«
»Er hat einen dringenden Anruf bekommen und mußte schnell noch mal ins Werk.«
»Ich werde Ihnen ein bißchen Gesellschaft leisten«, sagte Gaby, »wenn es Sie nicht stört.«
»Es stört mich nicht«, antwortete er.
Jetzt, wo sie ihn im Licht sah, gefiel er ihr eigentlich noch besser. Und diesmal konnte er sie auch mit seinem kühlen Blick nicht täuschen. Er hatte sehr wohl bemerkt, daß sie hübsch war … den Bruchteil einer Sekunde lang glaubte sie so etwas wie Bewunderung in seinen Augen gelesen zu haben.
Sie zog sich ihren Schaukelstuhl an das Kaminfeuer, ihm gegenüber, und versuchte zu ergründen, was dieser Mann an sich hatte, das sie so faszinierte. Selbst wenn sie die Augen schloß, würde sie trotzdem jede Einzelheit in seinem Gesicht vor sich haben.
Liebe auf den ersten Blick, sie hatte immer nur Spott dafür übriggehabt. Na, und jetzt? Wo sie noch kaum mit diesem Mann gesprochen hatte, nichts, gar nichts von ihm wußte …
Seine Stimme war angenehm. Er erzählte irgend etwas. Sie hörte ihm kaum zu. Sie beobachtete ihn beim Sprechen, seine Augen, seine Bewegungen, seine kräftigen Hände … Er trug keinen Ring. Wenn sie Glück hatte, war er nicht verheiratet.
»Was trinken Sie da eigentlich?« fragte sie.
»Sekt, Orangensaft, Eiswürfel.«
Sie sah ihn an. »Mixen Sie mir so etwas auch, ja? Sie finden alles in der kleinen Hausbar.«
Er stand auf, ging quer durch den Raum. Sie hörte die Eiswürfel in das Glas fallen. Er kam mit dem Glas in der Hand zurück.
Sie blieb sitzen, lehnte sich bewußt zurück im Schaukelstuhl, ließ ihn ganz nahe kommen, sah ihn unverwandt aus ihren grünen Augen an. Ich möchte ihn lieben, dachte sie. Ich möchte seine Geliebte sein, ich möchte, daß seine Lippen mich küssen …
Sie lächelte ihn an, wie sie noch nie jemanden angelächelt hatte. Als er ihr das Glas gab, berührten sich ihre Hände, und seine Augen waren schmaler geworden.
Ob es sehr schwer sein wird, ihn zu verführen? dachte sie.
Er sah sie nur an – mit einem Blick, den sie nicht deuten konnte. Langsam, mit seinem Glas in der Hand, kehrte er an seinen Platz zurück.
Er reizte sie. Genau der Typ reizte sie. Männer, die ihr zu Füßen lagen, hatte sie genug. Der hier war anders, kühl, männlich und sicher im Umgang mit Frauen.
Sie nahm sich vor, ihn herauszufordern.
»Ich wünsche sehr, daß Sie für meinen Vater arbeiten«, sagte sie und hob ihr Glas.
»Warum wünschen Sie das?« fragte er zurück.
Gaby lachte. »Ehrlich gesagt – Sie gefallen mir.«
Zum erstenmal lächelte er ein bißchen. »Das haben Sie sehr hübsch gesagt, Fräulein Westphal. Ich fürchte, Ihrem Vater wird das allein nicht genügen. Er möchte eine bessere Werbung, eine Werbung, die seinen Umsatz steigert …«
Sie winkte ab. »Bitte nennen Sie mich nicht Fräulein Westphal. Ich heiße Gabriele, aber alle meine Freunde sagen Gaby zu mir.«
Er legte seine Zigarette weg. »Trinken wir darauf – daß wir Freunde werden.«
»Prost, Herr Siebert.«
»Alle meine Freunde sagen Jürgen zu mir …«
»Prost, Jürgen«, verbesserte sie sich schnell.
Für den Anfang war sie zufrieden. Als ihr Vater zurückkehrte, sprachen die beiden Männer hauptsächlich über Geschäfte. Und dabei fiel dann auch der entscheidende Satz: »Ich glaube, Herr Siebert, Sie sind der Mann für mich. Nächste Woche werde ich Ihnen die Verträge zuschicken.«
Es war lange nach Mitternacht, als Jürgen Siebert zum
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