Immer wenn er mich berührte
Gästehaus hinüberging. Gaby war überhaupt nicht müde. Sie hätte Lust gehabt, mit dem Schlitten durch die Nacht zu fahren. Oder in einem Jazzkeller zu tanzen. Oder sonst etwas Verrücktes zu tun.
Sie beschloß, wenigstens noch ein Bad zu nehmen. Im Lavendelschaum ließ sich's so schön träumen … und außerdem wurde man allmählich doch schläfrig dabei.
Gaby zog sich aus, band ihre schwarzen Haare hoch, blieb sekundenlang vor dem Spiegel stehen. Er wird mich schön finden, dachte sie, er wird diesen Körper lieben …
Das Licht im Gästehaus brannte noch. Durch einen Spalt im Badezimmerfenster konnte sie hinübersehen.
Ob er schon an mich denkt? Ob er in Gedanken schon bei mir ist?
V
Die Ärztin Dr. Marie Jaques- Maires , die ihre Praxisräume in einem modernen sechsstöckigen Haus im Zentrum von Casablanca hatte, war noch ziemlich jung, so um die Dreißig herum. Sie war Französin, und die Unterhaltung wurde auf französisch geführt.
Janine saß ihr in ihrem Sprechzimmer gegenüber. Sie hatte ihre Geschichte erzählt und schwieg jetzt. Es war ihr schwergefallen zu sagen, warum sie hier war, warum sie eine Frauenärztin aufgesucht hatte.
»Merkwürdig«, sagte die Ärztin, »daß man selbst solche Dinge vergessen kann … Aber ich kann Ihnen natürlich helfen. Ziehen Sie sich bitte aus und setzen Sie sich auf den Stuhl da drüben.«
Janine zitterte, als sie sich langsam ihrer Kleider entledigte. Kein Mensch wußte von diesem Besuch. Kein Mensch sollte von diesem verzweifelten Versuch erfahren, über intimste Lebensfragen Auskunft zu bekommen.
Es war lächerlich. Nein, es war todtraurig, es war zum Heulen, wenn man in einem fremden weißen Sprechzimmer nackt vor eine fremde Frau treten und sie fragen mußte: Bitte, können Sie feststellen, ob ich schon Kinder geboren habe, bitte können Sie feststellen, ob es in meinem Leben schon einen Mann gegeben hat …
Die Ärztin mußte ihr die Verzweiflung vom Gesicht abgelesen haben. Sie nahm sie kameradschaftlich bei der Hand und lächelte ein bißchen.
»Sie sind sehr schön, Janine. Und sehr jung. Ich bin eine Frau, ich darf Ihnen das sagen.«
Janine errötete. »Es ist das erste Kompliment in meinem neuen Leben …«
»Es werden noch viele kommen«, prophezeite Dr. Jaques-Maires.
Die Untersuchung dauerte nicht lange.
Janine richtete sich auf und sah die Ärztin unruhig an.
»Ziehen Sie sich erst mal an. Wir wollen noch eine Zigarette zusammen rauchen.«
Dr. Jaques-Maires trug einen weißen Mantel, aber der sah aus, als stammte er aus einem Modellhaus. Diese kleine Französin verbreitete selbst in ihrem sterilen Sprechzimmer eine unaussprechliche Eleganz. Aus einer Elfenbeinschatulle bot sie Zigaretten an – drei oder vier Sorten zur Wahl.
»Wenn ich Ihr Alter schätzen sollte«, sagte sie nach einer Weile, »so würde ich schätzen: Anfang bis Mitte Zwanzig. Sie haben noch keine Kinder geboren, Janine. In dieser Beziehung brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen …«
»Muß ich mir sonst Sorgen machen?« fragte Janine.
»Nein, ganz und gar nicht. Es ist alles in Ordnung. Aber« – ihre Blicke trafen sich, »Sie sind eine Frau, kein Mädchen mehr …«
Janine blickte auf ihre Fußspitzen und schwieg.
»Haben Sie denn etwas anderes erwartet?« fragte die Ärztin lächelnd.
»Nein«, antwortete sie schnell, »ich wollte ganz einfach Gewißheit haben.«
Die Ärztin stand auf und gab ihr die Hand. »Sie kennen die Liebe, Janine.«
Es war ein belanglos hingeworfener Satz. Und doch mußte sie immerfort an ihn denken. Als sie unten auf der Straße stand, blieb sie vor einem Schaufenster stehen. Sie registrierte gar nicht, was darin ausgestellt war. Sie starrte in der Scheibe nur ihr eigenes Gesicht an.
Aber dieses Gesicht gab keine Antwort, verriet nichts von Liebe und Zärtlichkeit, nichts von vergangenen glücklichen Stunden. Es hätte das Gesicht einer Fremden sein können. Schön, glatt, unbeschrieben.
Als sie weiterging, Straßen überquerte, Menschen sah und nicht sah, mechanisch Schritt für Schritt setzte, da spürte sie ihren Herzschlag. Eine merkwürdige Unruhe hatte sie überfallen. Sie kennen die Liebe, Janine … eine unbestimmte, quälende Sehnsucht war in ihr geweckt worden.
Dr. Stephan Haller sagte dem Hotelportier Bescheid, setzte sich in einen der Sessel und wartete. Heute war schon der zwölfte Januar. Wenn ihm ein Kollege von der Klinik begegnet wäre, so hätte der sich bestimmt gewundert.
»Was, Sie sind noch hier,
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