Immer wenn er mich berührte
seinen Arm um sie und zog sie zärtlich an sich, »ich habe auf ein Erdbeben gewartet.«
Ihre Gesichter berührten sich erst, dann ihre Lippen.
»Janine, ich liebe dich, mehr als ich dir sagen kann. Ich möchte das ganze Leben mit dir verbringen, hörst du …«
Sie schwieg, und er sprach leise weiter: »Ich liebe dich so wie du bist. Wir heiraten, und es gibt keine Probleme mehr. Wichtig ist, was heute ist, was morgen sein wird, nicht, was gestern war. Das Leben liegt vor uns, Janine. Es sei denn –«, er zögerte, ehe er den Satz zu Ende sprach, »ich bedeute dir nichts.«
»Du bedeutest mir viel, Stephan«, antwortete sie mit einer fremden Stimme. »Aber die Lösung ist zu einfach, viel zu einfach.«
»Warum?«
»Weil ich schon verheiratet bin.«
Er starrte sie entsetzt an. »Woher weißt du das?«
Sie erzählte es ihm.
Stephan packte sie fast grob an den Schultern. Er hob ihr Gesicht zu sich empor: »Janine, ich bitte dich, das beweist überhaupt nichts. Ein schlechter Traum, ein Schaumgebilde, das niemand zu deuten vermag …«
Sie unterbrach ihn: »Du weißt, daß es nicht so ist. Du selbst hast mir gesagt, daß Hypnose kein Hokuspokus ist. Du hast mir den Arzt besorgt, du hast mir den Weg gewiesen, nun muß ich ihn zu Ende gehen.«
»Vielleicht war es eine ganz andere Hochzeit«, versuchte er ihr zu erklären, »die Hochzeit einer Freundin, eines Bekannten …«
Janine schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe da gekniet, ich habe ja gesagt, ich habe den Ring bekommen. Stephan, versteh doch endlich.«
Er blickte an ihr vorbei. Auf der spiegelnden Wasserfläche zeichneten sich ihre Schatten ab. Wie ein Liebespaar, dachte er bitter. Dabei war es bloß ein Trugbild, eine Illusion, nichts weiter, ein Witz, den sich das Schicksal mit ihm erlaubte.
Jeden Tag konnte ein Mann mit älteren Rechten auftauchen, der Ehemann vielleicht. Oder ein Verlobter. Oder nur ein Geliebter. Er hielt sie in seinen Armen, die Frau, die er über alles liebte, aber jeder konnte sie ihm wegnehmen.
Der Mann in ihm bäumte sich auf dagegen. Er riß Janine an sich, küßte sie wie nie zuvor, wollte mit seiner Leidenschaft die Dämme einreißen, die Gedanken auslöschen.
Erst ihr tränennasses Gesicht brachte ihn zur Besinnung. Und ihre flehenden Augen. Und ihre leisen, bittenden Worte: »Stephan, wir dürfen es nicht tun, wir dürfen uns nicht selbst betrügen. So werden wir nie glücklich, du weißt es, genauso wie ich.«
Das kleine, tapfere Lächeln, das sie ihm anbot, machte seine Verzweiflung nur noch größer. »Komm«, sagte er gequält, »laß uns gehen. Irgendwohin, wo Menschen sind, wo wir nicht mehr allein sind.«
Er hatte sich so sehr gewünscht, mit ihr allein zu sein. Statt dessen irrten sie wie verlorene Kinder durch die Nacht, von Lokal zu Lokal, wichen zurück voreinander und sprachen über Dinge, über die sie gar nicht reden wollten.
Als sie sich trennten, war Mitternacht lange vorbei. Stephan sah sie durch die Hoteltüre verschwinden, ihre schmale Gestalt, ihre leuchtenden blonden Haare, ihre traurigen Augen, die verlorene Handbewegung, mit der sie ihm noch einmal zuwinkte.
Nein, aufgeben würde er nicht. Er würde um sie kämpfen, mit jedem, der aus der Vergangenheit auftauchen sollte.
Als es plötzlich läutete, spähte Jürgen durch das Fenster auf die Straße hinaus. Eine Schwester in Ordenstracht stand am Zaun, dahinter ein Lieferwagen, aus dem zwei Männer kletterten.
»Wer ist das?« fragte Gaby überrascht.
»Die Caritas. Ich habe sie angerufen, daß sie die Sachen meiner Frau abholen. Kleider, Mäntel, Wäsche – was soll sonst damit geschehen?«
»Die fromme Schwester braucht mich nicht gerade hier in deinem Haus zu sehen«, meinte Gaby etwas spöttisch. »Hast du etwas dagegen, wenn ich mir inzwischen ein Bad einlaufen lasse?«
»Natürlich nicht.«
Gaby verschwand. Jürgen öffnete die Haustüre. Die Männer hatten Säcke unterm Arm. Die Schwester gab ihm die Hand.
»Haben Sie denn Verwendung dafür?« erkundigte sich Jürgen.
»Oh, ja«, antwortete die Schwester. »Denken Sie nur nicht, Herr Siebert, daß die Armut schon ausgestorben ist. Wenn Sie wollen, können Sie mich einmal bei meinen Familienbesuchen begleiten.«
Nein, das wollte er nicht. Er wollte nur alles beseitigen, was an Janine erinnerte. Die Sachen zu verkaufen, das hätte ihn zu sehr beschämt. Verschenken schien ihm der anständigste Weg zu sein.
Im Schlafzimmer öffnete er den großen Kleiderschrank. »Meine
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