Immer werd ich Dich begehren
„Wir können in gut einer Stunde in Sheffield sein. Es liegt nur fünfzig oder sechzig Meilen von hier entfernt.“
Kate schaute auf ihre Uhr. „Christa Farrell geht jeden Tag nach der Schule in die öffentliche Bibliothek. Ihre Großmutter arbeitet dort. Wir müssten es bis Sheffield schaffen, bevor die Bibliothek zumacht.“
Trent streichelte ihre Wange. „Ist alles in Ordnung mit dir?“
„Ja, es geht mir gut.“
„Hast du dir schon Gedanken gemacht, was du tun wirst, wenn weder Robin noch Christa unser Kind ist?“
„Darüber werde ich mir den Kopf zerbrechen, wenn es so weit ist“, entgegnete sie. „Du musst doch wissen, dass ich niemals aufhören werde, nach unserem Kind zu suchen.“
„Falls sich herausstellt, dass keines der Mädchen Mary Kate ist, will ich dir bei der weiteren Suche helfen“, sagte er. „Ich möchte, dass wir zusammen nach unserer Tochter weitersuchen.“
Trent sah ihr an, dass sie mit ihren Gefühlen zu kämpfen hatte und sich alle Mühe gab, nicht zu weinen. Er wusste genau, wie sie sich fühlte.
Kate war mit ihren Nerven am Ende, als sie auf den Parkplatz vor der Bibliothek in der Innenstadt von Sheffield fuhren. Es war eine kleine Stadt, in der viele Häuser leer standen. Es wirkte verlassen, doch hier und dort gab es Anzeichen einer Wiederbelebung der Stadt.
„Wollen wir hier warten, bis die Bibliothek schließt, oder gehen wir hinein?“, fragte Trent.
Hineingehen? Gütiger Himmel, würde sie das schaffen? Konnte sie Christa so nah sein und trotzdem auf Distanz bleiben? Würde sie nicht in Versuchung geraten, das Kindanzusprechen, um sie sich ganz genau anzusehen?
„Gehen wir hinein“, sagte Kate.
„Bist du sicher?“
Kate nickte.
„Wir dürfen sie weder anstarren noch mit ihr reden. Ist dir das klar?“
„Ja, das ist mir klar.“
Sie stiegen aus dem Wagen und gingen in die Bibliothek, die klein genug war, um das ganze Innere mit einem Blick zu erfassen. Kate öffnete ihre Handtasche, verstaute die Fotos und hielt Ausschau nach Christa. Sie entdeckte das Kind allein an einem Tisch mit einem aufgeschlagenen Notizbuch und einem Stift in der Hand. Auf dem Stuhl neben ihr lag ein Schulranzen.
„Da ist sie“, flüsterte Kate.
Trent sah in die gleiche Richtung wie sie.
„Ich wünschte, sie würde mal den Kopf heben, damit wir ihr Gesicht besser erkennen können.“
„Wir müssen aufhören, sie anzustarren“, erinnerte Trent sie. „Nehmen wir uns ein paar Zeitschriften und setzen uns an den Nebentisch.“
Kate folgte Trent, und nachdem sie einige Zeitschriften ausgewählt hatten, gingen sie zu dem Tisch, der am dichtesten neben Christas stand. Als sie sich einander gegenübersetzten, hob das Kind den Kopf und sah Kate direkt an. Christa lächelte, sagte aber nichts. Kate erwiderte ihr Lächeln. Als sie bemerkte, was für dunkle, schokoladenbraune Augen das Mädchen hatte, zog sich alles in ihr zusammen. Es war die gleiche Augenfarbe wie Trents.
Aber das heißt nicht, dass sie Mary Kate ist, sagte sie sich.
Christa widmete sich wieder dem, was sie schrieb – vermutlich ihre Hausaufgaben –, sodass Kate und Trent sie gelegentlich beobachten konnten, während sie so taten, als würden sie interessiert in den vor ihnen auf dem Tisch ausgebreiteten Zeitschriften lesen. Je genauer sie das Mädchenbetrachtete, desto mehr Ähnlichkeiten stellte Kate fest. Es hatte Augen wie Trent. Die gleiche Farbe, derselbe intensive Ausdruck, wenn sie arbeitete. Und ihr Mund war sinnlich wie der von Trent. Die Gesichtsform und die zarten Sommersprossen konnte sie von Kate geerbt haben. Außerdem hatte sie die Nase von Kates Mutter – einen Tick zu groß für das kleine Gesicht, aber das würde sich zurechtwachsen, genau wie bei ihrer Großmutter.
Hör auf, ermahnte Kate sich. Tu dir das nicht an. Sie suchte ja förmlich nach Äußerlichkeiten, die das Mädchen zu ihrer Tochter machten. Was war mit den Haaren? Die waren weder blond wie Kates noch braun wie Trents. Christa hatte hellbraunes Haar, was sehr gut eine Mischung aus Trents und Kates Haarfarbe sein konnte. Außerdem war Christa ein kleines bisschen pummelig. Kate und Trent waren als Kinder dünn gewesen, genau wie Robin Elliott. Aber Kate wusste, dass Mary Belle Winston als Kind pummelig gewesen war.
Oder suchte sie nur Ähnlichkeiten, die es gar nicht gab? Was aber, wenn dieses Mädchen Mary Kate war? Tief in ihr fühlte Kate sich zu dem Kind hingezogen. Doch hieß das gleich, dass es ihre Tochter
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