Immorality Engine
angetreten und das Geld, das sie verdiente, gleich wieder
in ihre Wohnung in Kensington stecken müssen. Amelia wollte ihre Schwester
wissen lassen, wie dankbar sie für all dies war und wie viel es ihr bedeutet
hatte. Sie war sicher, dass sie nur dank
Veronicas Fürsorge überhaupt so lange überlebt hatte.
Amelia blickte aus dem Fenster. Der früher so schöne Garten hatte
sich in ein loderndes Ebenbild der Hölle verwandelt. Die alten Götter, einst so
stolz in ihrer immergrünen Wachsamkeit, waren zu Asche und Rauch zerfallen. Sie
fand es ironisch, dass etwas so Schönes, das so schwer zu erschaffen war, so
leicht zerstört werden konnte. Vermutlich galt dies für das ganze Leben.
Schrecklich, wie empfindlich das alles war.
Sie hatte keine Ahnung, warum das Gebäude angegriffen wurde.
Eigentlich wollte sie es auch gar nicht wissen. Es reichte, dass dies der Tag
war, den sie in ihren Visionen vorhergesehen hatte. Wenn Mr. Calverton sie
holen würde, und sie wusste genau, dass er mit seinem erstarrten Gesicht und
den widerlichen durchdringenden Augen kommen würde, dann würde sie den
Schürhaken hervorziehen, den sie in den Falten ihrer Decke verborgen hatte, und
sich wehren. Viel Hoffnung hatte sie nicht, aber wenn Veronica ihr in der
kurzen Zeit eines vermittelt hatte, dann war es die Ãberzeugung, dass sie
kämpfen musste. Auch wenn es letzten Endes ihr Leben nicht retten konnte, sie
würde nicht kampflos untergehen.
Amelia drehte sich um, als die Tür
knarrend aufging. So bald schon! Sie hatte gehofft, noch ein wenig mehr Zeit zu
haben. Doch dann war sie überrascht, dass nicht Mr. Calverton, sondern
Dr. Fabian sie aufsuchte.
Der Arzt stolperte förmlich herein und hielt sich am Türrahmen fest,
um nicht zu stürzen. Er war schwer verletzt, am linken Oberschenkel war die
Hose verbrannt und hatte ein Loch, durch das Blut sickerte. »Hallo, Amelia.«
Seine Stimme war dünn und schrill. Er biss vor Schmerzen die Zähne zusammen,
ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie, während er gegen die Qualen
ankämpfte. SchlieÃlich kam er ganz herein.
Amelia empfand Mitleid für den Mann. »Dr. Fabian! Sie sollten nicht
hier sein. Gehen Sie. Fliehen Sie, ehe es zu spät ist. Lassen Sie mich hier.«
Fabian schob sich mit dem Zeigefinger die Brille auf der Nase hoch.
Seine Miene verhärtete sich, er schüttelte den Kopf. »Nein, Amelia. Sie kommen
mit.« Es klang energisch, befehlsgewohnt.
»Nein, ich halte Sie doch nur auf«, protestierte Amelia. »Ich sterbe
sowieso, das wissen Sie so gut wie ich. Sie müssen sich selbst retten und Ihre
Arbeit fortsetzen.« Dabei hielt sie es für durchaus wahrscheinlich, dass sie
beide in der Feuersbrunst umkamen, denn sie waren nicht in der besten
Verfassung. Aber wenigstens einer von ihnen konnte doch überleben.
Unbeirrt kam Fabian weiter auf sie zu. »Nein, Amelia. Sie sind zu
wichtig, zuââ¦Â« Er brachte den Satz nicht zu Ende, sondern keuchte vor
Schmerzen, als er sich überwand und weiterging. Das verletzte Bein schleppte er
auf dem Teppich nach. Nun konnte Amelia durch die offene Tür spähen und
erkennen, dass hinter ihm der Flur lichterloh brannte. Der Geruch von
brennendem Holz erfüllte die Luft, der Rauch wallte zur Tür herein. Anscheinend
war er durch die Flammen getaumelt, um sie zu erreichen.
»Hören Sie, ichââ¦Â« Als unvermittelt eine zweite Person zwischen den
Flammen aus dem wallenden Rauch auftauchte, hielt sie inne.
Die Frau mit den weit
aufgerissenen Augen trug ein schmutziges weiÃes Nachthemd. Sie war schrecklich
abgemagert und hatte dichte schwarze Haare. Amelia musste zweimal hinschauen,
ehe sie es glauben konnte.
Die Frau war ihr Ebenbild.
Das Duplikat warf den Kopf zurück und stieà einen wilden Schrei aus, ein dunkles, kehliges Wehklagen, das eher
an ein leidendes Tier als an einen Menschen erinnerte. Amelia schrie entsetzt,
als sie diesen Albtraum beobachtete. Die seltsame wilde Frau, die ihr aufs Haar
glich, schwankte leicht und starrte sabbernd zurück.
SchlieÃlich wandte Amelia sich an Fabian, der ebenso entsetzt wie
überrascht vor der Kopie zurückwich.
Die andere Amelia stürzte auf sie zu, packte sie an den Schultern
und schüttelte sie heftig im Rollstuhl. Nur wenige Fingerbreit vor ihrem
Gesicht knirschte die Doppelgängerin mit den Zähnen. Sie roch nach
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