Immorality Engine
Revolutionäre
sterben oder umkommen, wenn das Gebäude zusammenbrach.
»Kommen Sie.« Newbury fasste
Veronica an der Hand und führte sie in der Deckung der Bäume um das Gebäude
herum. Sie hielten sich stets auÃer Reichweite der Berittenen, die sich
anscheinend köstlich amüsierten, während sie Amelias Kopien abschlachteten.
Veronica hatte ihm bereits erklärt, wo sich das Küchenfenster
befand. Newbury lief darauf zu, ohne ihre Hand loszulassen. Sie trampelten
eilig über den Hof, mitten durch die zerstörte Zone, zum brennenden Haus.
In der Nähe knatterten Gewehrschüsse, ein Berittener hielt auf sie
zu, hob das Schwert und richtete mit der anderen Hand die Gatlingkanone auf dem
Gestell neu aus, um sie aus vollem Galopp niederzustrecken.
Veronica zögerte einen Moment lang.
Sie wusste nicht, wohin sie sich
wenden sollte. Dem Pferd konnte sie nicht entkommen, und wenn sie sich
an die Wand des Hauses schmiegte, bot sie dem vorbeireitenden Mann ein leichtes
Ziel. Auf keinen Fall sollte dieser lächerliche Kerl, dieser eingebildete
Ritter, ihrem Leben auf diese Weise ein Ende setzen.
Sie drehte sich um und rannte auf das Fenster zu, sprang hoch und
schützte das Gesicht mit erhobenen Armen.
Dann flog sie durch das berstende
Fenster, prallte schmerzhaft gegen einen Servierwagen und verteilte Teller,
Besteck und Glasscherben auf dem ganzen Boden. Schlitternd hielt sie zwei
Schritte vor der Tür an. Hinter ihr stürzte auch Newbury durch die Ãffnung und
hielt sich gleich darauf die Hand, die er sich an einer Scherbe aufgeschnitten
hatte. Die Kugeln von der Gatlingkanone prasselten herein, dann waren der Mann
und sein Pferd vorbei.
Veronica richtete sich auf und forschte nach Verletzungen.
Erstaunlicherweise war ihr auÃer ein paar kleinen Kratzern und einem
schmerzenden Ellenbogen nichts passiert.
Die Küche war längst verlassen, vermutlich waren die Angestellten
schon bei der ersten Explosion geflohen und versteckten sich im Haus oder
suchten irgendwie zu entkommen.
Auf einmal ertönte ein lautes Knattern. Der Reiter hatte gewendet
und deckte die Küche durch das offene Fenster mit Kugeln ein, um sie und
Newbury doch noch zu erwischen. Veronica tauchte ab und kroch auf dem Bauch zur
Tür. Unterwegs schnappte sie sich ein stählernes Tablett, das wenigstens ihren
Kopf schützte. Der Mann konnte sie auf dem Boden zwar nicht treffen, feuerte
aber unablässig auf die Wand, aus der Putzbrocken herabregneten. Veronica und
Newbury beeilten sich, aus der Küche zu fliehen und dem Kugelhagel zu entgehen.
Sekunden später surrte die leer
geschossene Waffe und schwieg. Veronica hatte inzwischen die Tür passiert. Newbury war dicht hinter ihr. Sie
half ihm beim Aufstehen.
Der Flur sah schrecklich aus, zertrümmertes Mauerwerk blockierte den
Zugang zu mehreren Seitengängen, und auf den Türen züngelten Flammen.
Rauchwolken stiegen in dicken schwarzen Spiralen auf. Das Stockwerk über ihnen
war fast völlig zerstört. Zwischen den gesplitterten, schmorenden Balken konnte
Veronica sogar die grauen Wolken erkennen, die niedrig am Himmel hingen.
Darunter zogen die Feuerschweife der Granaten vorbei,
die pausenlos einschlugen. Die Mauern bebten bei jeder Explosion.
»Wir müssen Amelia sofort herausholen«, rief Newbury. Er eilte den
Flur hinunter und duckte sich unter einem zerbrochenen Balken hindurch, während
er Veronica auf dem Weg, den Fabian bei Newburys letztem Besuch eingeschlagen
hatte, zu Amelias Zimmer führte. Sie hoffte, sie kämen nicht zu spät und sie
habe keinen schrecklichen Fehler begangen.
Amelia saà im Rollstuhl am Kamin und beobachtete den
Weltuntergang. Es kam genau so, wie sie es in ihren Visionen gesehen hatte, und
sie war bereit. Dabei war sie eher resigniert als verängstigt. Sie war bereit,
sich endlich dem Tod zu stellen, auf den sie schon seit Jahren wartete.
Gern hätte sie Veronica noch ein letztes Mal gesehen. Es stimmte sie
traurig, dass sie nie wieder die Gelegenheit
bekommen sollte, ein freundliches Wort mit ihrer Schwester zu wechseln
oder â noch wichtiger â ihr für alles zu danken, was sie getan hatte.
Veronica hatte so viel für sie geopfert. Immer wieder hatte sie gegen die
Vorurteile ihrer Eltern angekämpft und war schlieÃlich, nur mit geringen
Mitteln versorgt, aus dem Haus gewiesen worden. Sie hatte in der Verwaltung des
Museums eine Stelle
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