Immortal 3 - Schwarze Glut
alles von Leinwänden über verschiedene Papiersorten bis hin zu Farben, Pinseln und Paletten.
Es war allerdings kaum etwas an Arbeiten zu sehen, angefangene wie fertige. Drei leere Staffeleien standen im Raum, und in einer Ecke waren mittelmäßige Landschaften und Stillleben lieblos aufgestapelt. Sie konnten unmöglich von Kalen stammen, weshalb Christine sich fragte, wer sie gemalt haben mochte und warum er sie überhaupt aufbewahrte.
Sie fand Aquarellfarben und alles, was sie sonst noch brauchte. Da es kein Waschbecken gab, trug sie die Sachen hinaus zu dem Brunnen im Innenhof. Er bestand aus einer wunderschönen Skulptur, bei der das Wasser aus dem Maul einer geringelten Seeschlange kam.
Christine tauchte die Hand ins Wasser und spürte die Magie ihren Arm hinauffließen. Das war zwar nicht das Meer, doch sie fühlte sich schon bedeutend ruhiger. Obwohl es eine Bank in der Nähe gab, zog Christine es vor, auf der Erde zu sitzen. Sie füllte einen Keramiktopf mit Wasser und breitete die Farben aus. Dann tunkte sie den Pinsel ins Wasser und mischte Farben auf einem kleinen Tablett. Kurz darauf war sie ganz in ihre Arbeit versunken und merkte gar nicht mehr, wie die Zeit verging.
Eine lange Weile später erst legte sie ihren Pinsel ab. Dem Sonnenstand nach musste es später Nachmittag sein, und Christines Magen knurrte. Sie stand auf, sammelte ihre Sachen zusammen und stellte sie auf die Bank. Auf einmal horchte sie auf und runzelte die Stirn.
Leise Musik wehte durch die Luft. Als sie noch dichter am Brunnen gesessen war, hatte sie sie nicht hören können. Sie war nur schwach, aber eindeutig da. Und besonders verwunderlich war, dass es sich um Manannán handelte, ihren Lieblingsmusiker.
Die betörende Melodie verklang, und Christine schüttelte den Kopf. Hatte sie sich die Musik bloß eingebildet? Aber nein, da war sie wieder, klar wie ein ruhiges Meer und dennoch mit einem Hauch von Wildheit wie die Unterströmungen unterhalb der Wasseroberfläche. Keyboard und keltische Harfe, die hohen Töne eines Dudelsacks und die schrilleren einer E-Gitarre. Alles untermalt von natürlichen Brandungsgeräuschen und vom Synthesizer in einen höchst originellen Sound verwandelt.
Beschwingt, herrlich, modern. Die Art Musik, die Kalen wahrscheinlich nicht leiden konnte. Christine hingegen zog sie magnetisch an. Wer könnte hier Manannán hören? Gewiss nicht Pearl oder die Heinzelmännchen.
Der Klang führte Christine in einen Winkel des Gartens, wo zwei Außenmauern der Burg zusammenliefen. Hier wurde die Musik lauter und umso lockender. Christine folgte ihr um eine Rhododendronhecke herum zu einer kleinen Tür. Es war keine gewöhnliche Tür, sondern eine, die als falscher Stein getarnt war. Wäre sie nicht einen Spaltbreit offen gewesen, hätte Christine sie glatt übersehen.
Nun aber umfasste sie den Rand und zog. Lautlos schwang ihr die Holztür entgegen, und die Musik wurde lauter. Christine lugte hinein.
Eine schmale Treppe führte steil nach unten, von wo aus die Töne aus stygischer Dunkelheit zu ihr heraufdrangen. Ein muffig-kühler Geruch wehte von unten herauf. Christines gesunder Menschenverstand sagte ihr, dass sie sich besser umdrehen und weggehen sollte, so schnell sie konnte. Sie hatte schließlich keine Ahnung, wer oder was sich dort unten befand. Aber dies war Kalens Zuhause. Niemand gelangte ohne seine Erlaubnis hier hinein. Und ganz sicher hätte Kalen sie vor jedweder Gefahr gewarnt, bevor er morgens gegangen war.
Einem sanften Sprühregen gleich drang die Musik bis zu ihr herauf, als das Stück ins Crescendo verfiel. Dies war eine der Melodien, die sie besonders liebte. Sogleich duckte sie sich unter dem niedrigen Türrahmen hindurch und stieg eine Stufe hinunter. Ihre Neugier verleitete sie dazu, noch eine Stufe weiter zu gehen, dann eine dritte. Danach machte sie nicht einmal den Versuch, sich etwas einzureden. Sie musste die Quelle der Klänge finden. Sich rechts und links an der Wand entlangtastend, bewegte sie sich langsam und vorsichtig hinab, damit ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen konnten.
Bis unten waren es siebenundzwanzig Stufen, dann führte ihr Weg sie durch einen engen Korridor auf einen deutlichen Lichtspalt zu, der in der Ferne aufleuchtete. Als sie dort ankam, stellte sie fest, dass sowohl Musik als auch Licht aus einem Spalt unten in einer verschlossenen Tür drangen – einer Stahltür noch dazu. Sie strich mit der Hand über das kühle nahtlose Metall und stutzte.
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