Immortal: In den Armen der Dunkelheit
wieder gegenübertrat. Zweifellos hatte er einen der anderen Lifts genommen und war ebenfalls auf dem Weg zu ihrer Kabine.
Jenna schloss die Augen und versuchte, klar zu denken. Sie musste verrückt sein, dass sie auch nur erwogen hatte, sich auf eine Affäre mit Dave einzulassen! Sie wäre fabelhaft, solange sie andauerte, aber was wäre, wenn er das Interesse verlor? Sie war nicht in der Position, von heute auf morgen aus der Wohnung auszuziehen, und ihn mit anderen Frauen zu sehen, war schon jetzt schlimm genug. Um wie viel schrecklicher würde es, wenn sie erkennen musste, dass sie nur eine in einer langen Reihe gewesen war?
Die Fahrstuhltüren glitten auf, und Jenna stieg aus. Sie bog um die erste Ecke, als sie bemerkte, dass sie sich auf dem falschen Stockwerk befand. Ärgerlich über ihre Unaufmerksamkeit drehte sie um und lief zurück zu dem noch offenen Fahrstuhl, wo sie den richtigen Knopf für ihre Etage drückte.
Die Türen blieben offen. Jenna drückte nochmals den Knopf, doch es passierte nichts. Probeweise nahm sie einen anderen Knopf, aber nichts geschah.
Frustriert stieg sie wieder aus und drückte den Rufknopf für einen anderen Lift. Wieder nichts.
Sie ermahnte sich, nicht durchzudrehen, und machte sich auf den Weg, nach anderen Fahrstühlen zu suchen, von denen es weiter zum Schiffsheck hin noch welche geben musste. Vielleicht fand sie auch ein Treppenhaus, von dem aus sie ins nächste Stockwerk gelangte. Als sie den Korridor entlangging, fiel ihr auf, dass hier im Gegensatz zum Rest des Schiffes alles alt und heruntergekommen wirkte. An den Wänden hingen uralte Öllampen, die ein gelbliches flackerndes Licht auf den Gang warfen und dabei seltsame Schatten bildeten.
Vom Ende des Korridors, wo sich die einzige Tür befand, meinte sie, Stimmen zu hören. Jeder Ort, an dem sich Menschen aufhielten, war besser als dieser verlassene Gang. Vielleicht konnten sie ihr helfen, auf ihre Etage zurückzukommen.
Sie lief auf die Stimmen zu, und als sie näher kam, erkannte sie, dass das, was sie für Gesang gehalten hatte, wie ein Klagen und Jammern zu klingen begann.
Daves Theorie vom südamerikanischen Sklavenring fiel ihr wieder ein, und gleichzeitig verwandelte das Klagen sich in Schmerzensschreie.
Vor Angst ging ihr Puls schneller. Sie war keine mutige Frau, aber sie würde auch nicht Leuten den Rücken zukehren, die Hilfe brauchten. So leise wie möglich näherte sie sich der Tür. Sie war beinahe dort, als sie ein Kribbeln auf der Haut spürte, als würden Insekten über sie hinwegkrabbeln.
Magie.
Erschrocken blickte sie sich um. Sie war immer noch allein in dem Gang. Entschlossen griff sie nach dem Türknauf und rechnete mit Widerstand, aber zu ihrer Verwunderung war die Tür unverschlossen.
So viel zu der Theorie, dass auf der anderen Seite Gefangene waren! Fast wollte sie lachen, weil sie sich von ihrer Phantasie verrückt machen ließ. Wahrscheinlich handelte es sich nur um einen Lagerraum.
Trotzdem warnte ihr sechster Sinn sie, vorsichtig zu sein. Zunächst öffnete sie die Tür nur einen Spalt breit, gerade weit genug, um hineinzulinsen …
Sie musste sich beherrschen, um nicht aufzuschreien. Was sie sah, ergab überhaupt keinen Sinn.
Dutzende schmutziger ausgemergelter Männer und Frauen saßen in Zweierreihen in einem riesigen Raum. Sie waren in Lumpen gekleidet und hatten jeder einen großen Holzstab in den Händen. Die Stäbe erstreckten sich horizontal von der Gangmitte bis zu Öffnungen im Schiffsrumpf hin.
Jenna versuchte noch zu begreifen, warum kein Wasser durch diese Öffnungen nach innen drang, als ein schriller Pfiff ertönte, der sie vor Schreck zusammenfahren ließ. Bei dem Geräusch bewegten sich sämtliche Männer und Frauen im Gleichtakt vorwärts und rückwärts. Vorwärts, rückwärts, vorwärts, rückwärts und immer so weiter.
Sie ruderten, wie Jenna schockiert feststellte. Das metallische Reiben lenkte ihren Blick auf die Ketten, mit denen die Eisenschellen an den Knöcheln der Leute im Boden verankert waren.
Jemand stieß einen wütenden Laut aus, der sie aufschreckte. Sie zuckte zurück, bereit wegzulaufen, doch niemand kam. Als sie sich traute, die Tür einen Zentimeter weiter zu öffnen, sah sie einen sehr großen Mann, der zwischen den Ruderern auf und ab ging, in die Pfeife blies und sie anschrie, sie sollten »kräftiger rudern«. In einer Hand hielt er eine lange Peitsche, und von Zeit zu Zeit ließ er sie auf den Rücken eines Mannes oder einer
Weitere Kostenlose Bücher