Immortal: In den Armen der Dunkelheit
Blut an meinen Händen, Leanna. Die Gier eines neu gewandelten Vampirs … du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr sie einem den Verstand trübt. Ich hätte in jenen Jahren alles für Blut getan. Alles. Die Verbrechen, die ich beging, werden mich bis in alle Ewigkeit in die Hölle verdammen.«
»Du hattest keine Wahl.«
»Nein, anfangs nicht. Aber dann nahm meine Vampirkraft zu. Ich war immer besser imstande, meinem eigenen Willen zu gehorchen, die Zeit, den Ort, die Opfer zu wählen. Meine Vergehen wurden zu meinen eigenen. Über Jahre wollte ich nicht wahrhaben, zu was ich geworden war. Aber dann, eines Nachts, spürte ich es doch. Und es hat mich fast vernichtet.«
»Ach, Jackson!«
»Gut zwanzig Jahre nach meiner Wandlung war ich nicht besser als die übelsten Untergebenen von Legrand. Erst dann hatte ich den Mut, meinen eigenen Weg einzuschlagen.«
»Wie?«
Seine Augen fixierten einen Punkt oberhalb ihrer rechten Schulter. »Es war im Mai. Ich erinnere mich noch sehr gut daran. Frühling in Paris, überall blühte der Flieder. Ich konnte ihn natürlich nur bei Nacht sehen, wenn das Licht fort und die Farben gedämpft waren, aber der Duft verfolgte mich. Meine Großmutter hatte Flieder in ihrem Garten gehabt. In jenem Frühling, als der Flieder in voller Blüte stand, erhielt ich die Nachricht, dass sie gestorben war.«
Seine Mundwinkel zuckten. »Ich hatte einen Privatdetektiv engagiert, der mir Neuigkeiten von meiner Familie bringen sollte. Sie dachten, ich wäre tot – was ich ja auch war. Ich war der Liebling meiner Großmutter gewesen. Sie erholte sich nie von ihrem Kummer, weil ich verschwunden war. An dem Tag, nachdem ich von ihrem Tod erfahren hatte, schlief ich in Legrands Keller und träumte von ihr. Die Bilder waren so klar, so real, so … lebendig. Als ich aufwachte, fühlte ich mich beinahe wieder … menschlich. In der Nacht darauf, als die Zeit kam, durch die Dunkelheit zu ziehen und zu vergewaltigen, ging ich nicht. Ich nahm Blut, ja, denn ich konnte den Blutdurst nicht ignorieren, ohne mich zu zerstören. Aber ich trank nur wenig von jeder Frau und insgesamt nur, was ich unbedingt brauchte. Hinterher sorgte ich dafür, dass die Opfer vergaßen, was geschehen war. Was meine fleischlichen Gelüste betraf, so befriedigte ich sie nicht. Bei Morgengrauen kehrte ich in meinen Sarg zurück.«
Er lachte matt. »Am nächsten Abend wachte ich merklich stärker auf. Nach einem Monat Abstinenz war ich tausendmal mächtiger. So wurde mir klar, dass sexuelle Energie eine Art Lebensessenz war, die ein Vampir für gewöhnlich vergeudet. Ich fragte mich, ob ich diese Energie horten könnte, indem ich meinen Drang nach Beischlaf unterdrückte. Überall um mich herum verschleuderten andere Vampire ihre sexuelle Essenz, allen voran Legrand. Sein unstillbarer Appetit hinderte seine Macht daran, zu wachsen, aber er merkte es gar nicht, oder es war ihm gleich. Legrand ist der älteste Vampir in Europa, entsprechend groß ist seine Macht. Und es war Jahre her, seit er seinen letzten Widersacher zerstört hatte. Aber in derselben Nacht schwor ich, ihn zu vernichten.«
»Wie lange ist das her?«
»Dreiundsiebzig Jahre.«
»Und in der ganzen Zeit …?«, flüsterte Leanna.
»Hatte ich keine Frau. Ich habe mir nicht einmal Erleichterung gestattet, bis heute, bei dir.«
Sie sah ihn entsetzt an. »Und unsere Begegnung hat deine Macht gemindert?«
»Ja.« Er verzog das Gesicht. »Der Blutverlust war allerdings auch nicht hilfreich.« Sein Blick wanderte zu der Blutspur auf dem Höhlenboden. »Ich werde einige Zeit brauchen, um genug Energie zu sammeln, dass ich laufen kann.«
»Würde es schneller gehen, wenn du Blut trinkst?«
Ohne sie anzusehen, antwortete er: »Ja.«
Ja.
Wie konnte so viel Verbitterung in einer einzigen Silbe mitschwingen? So viel Selbstverachtung, Selbstekel?
Es brach ihr fast das Herz. Mit dieser einzelnen Silbe hatte Jackson mehr über sich und seine Untotenexistenz enthüllt, als er beabsichtigt haben dürfte. Er hasste, was er war. Zutiefst. Und doch gab es kein Entkommen.
»Es gibt nichts, dessen du dich schämen musst, Jackson.«
»Ach nein? Dem würde ich widersprechen. Verlass mich, Leanna! Geh jetzt!«
»Ich werde nicht …« Sie brach ab, als ein schwacher Strahl Todesmagie herbeiwehte, der sich wie ein unangenehmer Druck auf ihre Brust legte. Jemand – etwas – kam näher. Lauschend neigte sie ihren Kopf und tastete mit ihrer Magie. Unheimliche Vibrationen
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