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Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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Blick umherschweifen ließ, sah sie, dass der pockige Androide vom Tresen ebenfalls hinausging.
    Er schien es eilig zu haben.
    Zu eilig.
    Diese Erkenntnis setzte in ihrem ohnehin beunruhigten Gehirn etwas in Gang. Sie versuchte, ihn im Auge zu behalten, und stemmte sich aus dem Sessel hoch; sie reckte den Hals, aber er war schon im Gewimmel verschwunden, und sie konnte den Ausgang nicht sehen.
    Üble Gedanken schossen aus den düstersten Winkeln ihrer Phantasie, plötzlich schienen die Wände zu verschwimmen. Die zwei – oder waren es drei? – Gläser Wein taten das ihre. Benommen und verwirrt ließ sie sich wieder in den Sessel zurücksinken und versuchte, sich zu beruhigen. Und dann sah sie es.
    Evelyns Handy.
    Es klemmte an der Seite in der Sofaritze. Nur eine Ecke ragte heraus; es war kaum zu sehen.
    Ihre Gedanken spulten im Schnelldurchlauf zurück, und vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie ihre Mutter es beim Hinsetzen aus der Handtasche genommen und neben sich auf das Sofa gelegt hatte, als könne sie kaum erwarten, dass es klingelte.
    Mia zögerte nicht.
    Sie schnappte sich das Handy und rannte ihrer Mutter nach.

5
    Als sie aus der Hotellobby auf die Straße kam, sah sie gerade noch, wie ein graues Mercedes-Taxi auf der Rue Commodore davonfuhr. Durch die Heckscheibe erkannte sie die Umrisse von Evelyns Kopf. Mehrere Taxifahrer, die vor dem Hotel auf Fahrgäste lauerten, kamen auf sie zu und boten ihre Dienste an. In dem Gewirr glitt ein weiteres Auto an ihr vorbei, ein schwarzer BMW, darin vier Männer. Durch das vordere Fenster auf der Beifahrerseite sah Mia den Mann aus der Bar; er sprach in ein Handy und blickte starr geradeaus. Seine granitschwarzen Augen fixierten Evelyns Taxi wie mit einem Laserstrahl.
    Bei aller Verwirrung gab es jetzt keinen Zweifel mehr: Evelyn wurde verfolgt.
    Das kann nichts Gutes bedeuten.
    Für einen Sekundenbruchteil schoss ein Gedanke durch den Sauvignon-Dunst in Mias Kopf: anrufen, auf dem Handy, sie warnen! Dann fiel ihr ein, dass sie Evelyns Handy ja in der Hand hielt.
    Fabelhaft.
    Sie spähte nach links und rechts. Adrenalin rauschte durch ihre Adern und klärte ihren Kopf. Ihre Gedanken waren so fieberhaft wie absurd, und die schrillen, verwirrenden Rufe der Taxifahrer machten ihre Beklemmungen noch größer. Sie packte den nächstbesten Fahrer am Arm und schrie: «Wo ist Ihr Wagen?»
    Er antwortete in gebrochenem Englisch und deutete auf einen weiteren Mercedes. Es schien hier mehr Autos dieser Marke zu geben als in Frankfurt. Der Wagen parkte auf der anderen Straßenseite vor dem Hotel.
    Mia zeigte auf den davonfahrenden BMW. Inzwischen waren schon zwei andere Autos dahinter. «Sehen Sie den Wagen? Wir müssen ihm folgen. Wir müssen ihn einholen. Okay?»
    Der Taxifahrer schien nichts zu verstehen; er zuckte die Achseln und warf seinen Kollegen einen amüsierten Blick zu.
    Aber Mia schob ihn schon zu seinem Auto. «Kommen Sie schon, los, jalla », beharrte sie. «Wir müssen diesem Auto folgen, verstehen Sie? Folgen? Auto?» Sie gestikulierte wie wild und sprach Silbe für Silbe, als könnte sie ihre fremdländischen Worte damit auf magische Weise verständlich machen.
    Aber irgendwie klappte der Trick, denn der Fahrer schien zu kapieren, dass sie es ziemlich eilig hatte. Er führte sie zu seinem Taxi, schob sie auf den Rücksitz und setzte sich ans Steuer. Wenige Sekunden später schoss der Wagen hinaus in den Abendverkehr.
     
    Mia lehnte sich weit nach vorn; sie saß dem Fahrer praktisch im Nacken, als das Taxi sich durch den Stop-and-go-Verkehr der schmalen, verstopften Straßen West-Beiruts kämpfte. Sie fuhren bis zum Ende der Rue Commodore, und Mia spähte an jeder Kreuzung nach rechts und links, um sicherzugehen, dass Evelyns Taxi nicht abgebogen war. Schließlich sah sie den Mercedes in der Ferne nach rechts in Richtung Sanajeh-Platz abbiegen.
    Der schwarze BMW war zwei Autos dahinter und folgte ihm.
    Mia schwirrte der Kopf. Fragen stürmten auf sie ein. Warum wurde ihre Mom verfolgt? Wer verfolgte sie? Wurde sie vielleicht nur überwacht? Schließlich war dies eine Gegend, in der es eine «Geheimpolizei» gab, und nach dem jüngsten Krieg waren Ausländer per se verdächtig, oder nicht? Aber Mia konnte sich nicht vorstellen, inwiefern eine sechzigjährige Frau als Bedrohung empfunden werden konnte. Wollte man ihr etwas antun? Sie vielleicht kidnappen? Seit den Wildwest-Zeiten der achtziger Jahre waren in Beirut keine Ausländer mehr entführt worden – Mia

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