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Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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abgelegenen archäologischen Stätten und zwei von viel Arrak begleiteten Abendessen in traditionellen techschibis in den Bergen hatte sie überrascht festgestellt, dass Evelyn Bishop, die effiziente und von kühler Rationalität geprägte Archäologin, eine überaus großherzige Frau war.
    Und diese großherzige Frau wurde jetzt von Männern mit ungewissen Absichten verfolgt.
     
    Mia hielt ihr Unbehagen im Zaum und konzentrierte sich auf die Straße vor ihnen. Für einen kurzen Moment verlor sie den Mercedes aus den Augen, aber dann tauchte er ein halbes Dutzend Autos weit vor ihnen wieder auf. Er fuhr quer durch die Stadt, dicht gefolgt von seinen verstohlenen Beschattern.
    Evelyns Taxi verließ den Ring und fuhr hinunter in Richtung Innenstadt. Man hatte weder Kosten noch Mühen gescheut, um das Herz der Altstadt – während des Bürgerkriegs völlig ausgebrannt – wieder aufzubauen. Jetzt drängten sich dort Geschäfte und Restaurants. Der Mercedes und der BMW schafften es über die Kreuzung, doch vor Mias Taxi floss plötzlich der Verkehr aus drei verschiedenen Richtungen zusammen und versperrte in chaotischem Geschiebe die Weiterfahrt.
    Mia trieb ihren Fahrer mit hektischen Gebärden und wilden Beschwörungen voran, sie drangsalierte und drängelte ihn. Er suchte ruckelnd einen Weg voran und wich dem Gewirr von Kotflügeln und Stoßstangen aus. Nach einem Dutzend Flüchen und ausgiebigem Fäusteschütteln schossen sie schließlich auf die freie Straße vor sich.
    Der Verkehr nahm zu, als sie sich der Fußgängerzone näherten, und etwa hundert Meter weit vor ihnen entdeckte Mia ihre Mutter, die gerade aus dem Taxi stieg und in den geschäftigen Arkaden verschwand.
    «Da, das ist sie», rief sie und zeigte auf die Gestalt in der Ferne, als sie erkannte, dass ihr Taxi wieder einmal feststeckte. Zwischen ihr und Evelyn stand ein unbeweglicher Stau, drei Reihen von Autos nebeneinander, Stoßstange an Stoßstange, in Schach gehalten von einem einsamen Verkehrspolizisten, der dastand wie Moses vor dem Roten Meer, während sich aus einer Querstraße schwerfällig der Verkehr herüberwälzte.
    Mia blickte sich panisch um. Sie überlegte, was sie tun sollte. Da sah sie, wie der Androide und ein anderer Mann aus dem BMW stiegen, der ebenfalls im Stau steckte. Sie schlängelten sich zwischen den Autos hindurch und folgten Evelyn. Es wimmelte von Menschen – in Beirut aß man nicht vor neun Uhr und oft noch später zu Abend, und an einem milden Oktoberabend wie heute waren die Lokale und breiten Terrassen der Innenstadt bis weit nach Mitternacht ein beliebter Treffpunkt. Mia musste sich entscheiden: Evelyn in der relativen Sicherheit eines Taxis und mit einem hinreichend kräftigen Fahrer zu folgen, war eine Sache. Sie tatsächlich einzuholen und womöglich die Aufmerksamkeit ihrer Verfolger zu erregen, war etwas völlig anderes.
Sie hatte keine Wahl.
    Sie wühlte in der Tasche, drückte dem Fahrer einen Zehn-Dollar-Schein in die Hand – US-Dollars waren die bevorzugte Währung im Libanon – und sprang mit klopfendem Herzen aus dem Wagen. Sie hetzte zwischen den verkeilten Autos hindurch und hoffte, dass ihr Instinkt sie täuschte. Sie fragte sich, was sie tun würde, wenn das nicht der Fall war.

6
    Tausend Fragen waren Evelyn durch den Kopf gegangen, seit Faruk sie in Sabqine hatte stehenlassen. Aber er hatte Wort gehalten: Nervös paffend stand er am Uhrturm in der Mitte der Place de l’Étoile und wartete auf sie.
    Der etwas mehr als hundert Jahre alte Turm hatte die schlimmsten Bürgerkriegswirren erlebt und bemerkenswert gut überstanden, obwohl er genau auf der berüchtigten «grünen Linie» stand, die Ost- von West-Beirut trennte. Jetzt wachte er über eine Stadt, die schon wieder vor Wut und Empörung brodelte. Libanesische Flaggen und zornige Anti-Kriegs-Transparente flatterten an seinen Seiten, und an seinem Fuße waren Bilder der jüngsten Kriegsgräuel aufgestellt.
    Faruk hatte einen guten Ort ausgesucht. Auf dem Platz wimmelte es von Menschen. Manche betrachteten entsetzt schweigend die Ausstellung, andere marschierten einfach vorbei und schleppten Einkaufstüten oder schwatzten mit unbekümmerter Sorglosigkeit in ihre Handys. Das Parlamentsgebäude auf der anderen Seite, bewacht von einer Handvoll bewaffneter Soldaten, war ein weiteres Plus.
    Er trat seine Zigarette aus, als Evelyn auf ihn zukam, und nachdem er einen bangen Blick über ihre Schulter geworfen hatte, führte er sie von dem Turm weg in

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