Immortalis
eine der strahlenförmig vom Platz ausgehenden Arkadenstraßen.
Evelyn sparte sich jeden Smalltalk und kam sofort zur Sache. «Faruk, was ist los? Was soll das heißen – Hadsch Ali ist tot wegen dieser Bücher? Was ist mit ihm passiert?»
Faruk blieb an einer ruhigen Ecke vor einer verrammelten Kunstgalerie stehen. Er wandte sich zu ihr um, zog mit zitternden Fingern eine Zigarette aus der Packung und zündete sie an. Ein Schatten fiel über sein Gesicht.
«Als Abu Barsan, mein Freund in Mossul – als er mir zeigte, was er zu verkaufen hatte, habe ich bei dem Buch mit dem Uroboros sofort an Sie gedacht. Der Rest … sehr schöne Exemplare, ohne Zweifel, aber ich wusste, dass Sie nicht an solchen Geschäften interessiert sind. Aber Sie müssen verstehen – die anderen Stücke scheinen zunächst wertvoller, und wie ich schon sagte, ich brauchte so viel Geld, wie ich nur auftreiben konnte, um dieses verfluchte Land für immer zu verlassen. Ich habe versucht, Kontakt zu einigen meiner Kunden aufzunehmen, die weniger … sagen wir, Skrupel haben. Aber davon habe ich nicht so viele. Also habe ich Ali davon erzählt. Er hatte ein paar gute Kontakte, eine andere Klientel als ich, Leute, die weniger Fragen stellen … Und ich hatte es eilig. Ich musste einen Käufer finden, bevor Abu Barsan selbst einen fand, auch wenn ich dann meinen Anteil zu einem Drittel mit Ali teilen musste. Ein Stück von etwas war besser als gar nichts, wissen Sie, und wenn Abu Barsan vor mir einen Käufer fand, dann hätte ich gar nichts. Als ich Ali davon erzählte, gab ich ihm Fotokopien der Polaroids, die Abu Barsan mir überlassen hatte.» Faruk schüttelte den Kopf, als mache er sich Vorwürfe, weil er einen schrecklichen Fehler begangen hatte. «Fotokopien von allen Fotos.»
Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, als müsse er sich für den schwierigeren Teil seiner Geschichte wappnen. «Ich weiß nicht, wem er sie gezeigt hat, aber nicht einmal eine Woche später kam er zurück und sagte, er habe einen Käufer – zum vereinbarten Preis, für die ganze Chose. Die ganze Chose. Ich wollte das Buch aus dem Verkauf heraushalten – ich wusste ja, wie sehr Sie sich damals für alles mit diesem Symbol interessiert haben, und ich dachte mir, ich könnte Sie damit verlocken, mir beim Verkauf der übrigen Bücher zu helfen oder mir zumindest zu helfen, hier in Beirut einen Job zu finden. Also sagte ich Ali, er solle seinem Käufer sagen, er könne alle anderen Stücke auf den Polaroids haben, alle bis auf dieses eine Buch, aber zum Ausgleich dafür würden wir ihm einen kleinen Rabatt geben. Ali fand, das sei ein vernünftiges Gegenangebot; die beiden Alabasterstatuetten allein seien sehr viel mehr wert, als wir für alles zusammen verlangten, und das Buch – na ja, das würde sicher niemand vermissen.» Er schluckte angestrengt. «Was für ein Irrtum … Ungefähr eine Woche lang hörte ich nichts, und dann rief mich eines Morgens seine Frau an. Sie war außer sich. Ein paar Männer seien zu ihm gekommen, sagte sie, in seinen Laden. Es seien keine Iraker gewesen. Syrer, vermutete sie, und vielleicht sogar –» Er rieb sich den Nasenrücken, als bereite schon das bloße Wort ihm körperliche Schmerzen, «– muhabarat .»
Muhabarat.
Ein allgegenwärtiger Ausdruck in dieser Region, meist vorsichtig und gedämpft ausgesprochen, und eins der ersten Wörter, die Evelyn gelernt hatte, als sie vor all den Jahren nach Bagdad gekommen war. Wörtlich übersetzt bedeutete es einfach «Information» oder «Kommunikation», aber niemand benutzte es in diesem Sinn. Nicht mehr. Nicht, seit es zur Bezeichnung für die Geheimpolizei geworden war, diese skrupellosen «Informationsbeschaffer», ohne die kein Diktator regieren konnte. Nicht, dass es solche inneren Sicherheitsdienste nur im Nahen Osten gegeben hätte. In der verstörend brutalen neuen Weltordnung des einundzwanzigsten Jahrhunderts bedienten sich alle Länder – vielleicht mit Ausnahme von Liechtenstein – solcher Dienste hemmungslos, und sie alle behandelten ihre Opfer mit einer unerbittlichen Grausamkeit, neben der die irrsinnigen Praktiken Ivars des Knochenlosen beinahe lahm erschienen.
«Sie hielten seine Frau draußen fest, während zwei Männer mit ihm sprachen», fuhr Faruk düster fort. «Dann hörte sie Geschrei. Sie wollten wissen, wo die Stücke waren. Sie schlugen ihn ein paarmal, und dann schleiften sie ihn aus dem Laden, stießen ihn in ein Auto und fuhren mit
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