Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
Vom Netzwerk:
ihm weg. Sie holten ihn ab, einfach so. Das kommt ja im Irak heutzutage oft vor, aber diesmal war es nichts Politisches. Bevor sie wegfuhren, hörte Alis Frau, dass sie über die Bilder sprachen. Die Fotokopien, die ich ihm gegeben hatte. Sie waren die Käufer, Sitt Evelyn – oder, was wahrscheinlicher ist, sie waren im Auftrag dessen da, der die Stücke kaufen wollte. Und einer von ihnen sagte zum andern: ‹Er will nur das Buch. Den Rest können wir selbst weiterverkaufen.› Nur das Buch, Sitt Evelyn. Verstehen Sie?»
    Evelyn verspürte ätzende Übelkeit in der Kehle aufsteigen. «Und sie haben ihn umgebracht?»
    Faruk brachte die Worte kaum über die Lippen. «Seine Leiche wurde am selben Abend in einem Straßengraben gefunden. Sie war …» Er schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht. Der Gedanke peinigte ihn, und er seufzte gequält. «Sie haben ihn mit einer Bohrmaschine bearbeitet.»
    «Was haben Sie dann getan?»
    «Was konnte ich noch tun? Ali wusste nichts von Abu Barsan. Ich hatte ihm nicht gesagt, woher die Stücke kamen. Ich kannte ihn zwar gut, aber wir leben in verzweifelten Zeiten, und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich ihm nicht genügend vertraute, um ihm von Abu Barsan zu erzählen; ich wollte nicht, dass er das Geschäft hinter meinem Rücken mit ihm machte.»
    Evelyn sah, worauf es hinauslief. «Das bedeutet, Ali konnte den Männern nur von Ihnen erzählen.»
    «Genau. Also bin ich geflohen. Ich habe gleich nach dem Telefongespräch ein paar Sachen gepackt und mein Haus verlassen. Ich hatte ein bisschen Geld – wir alle verwahren das, was wir haben, zu Hause, denn auf der Bank ist es nicht mehr sicher. Es war nicht viel, aber genug, um Bagdad zu verlassen und um die Grenzposten zu bestechen. Ich versteckte mich im Haus eines Freundes, und in der Nacht, nachdem Alis Leiche gefunden worden war, wusste ich, dass sie mich suchten. Da habe ich das Land verlassen. Ich bin mit dem Bus gefahren, habe mich gegen Bezahlung von Lastwagen mitnehmen lassen – was immer ich finden konnte. Zuerst nach Damaskus, denn die Strecke war nicht so naheliegend wie die über Amman, und außerdem ist es näher an Beirut, und dahin wollte ich. Um Sie zu sehen. Ich habe in der Universität nachgefragt, und man hat mir gesagt, Sie seien den Tag über in Sabqine. Ich konnte nicht warten. Ich musste Sie sehen.»
    Evelyn verabscheute die nächste Frage, aber sie musste sie stellen. Bei dem Gedanken an das schreckliche Schicksal, das Ali ereilt hatte, wurde ihr übel, und sie hatte tiefes Mitleid mit Faruk, nicht nur wegen seiner entsetzlichen Lage, sondern auch wegen des Albtraums, den er in den letzten Jahren durchlebt haben musste. Trotzdem konnte sie nicht vergessen, was sie auf dem Polaroidfoto gesehen hatte.
    Sie schob die widerstreitenden Emotionen beiseite. «Was ist mit dem Buch? Haben Sie es gesehen? Wissen Sie, wo es ist?»
    Faruk schien die Frage nicht zu stören. «Als Abu Barsan zu mir kam, bat ich ihn, mir die Sammlung zu zeigen, aber er hatte nichts bei sich. Es war ihm zu gefährlich, damit zu reisen. Zu viele Straßensperren und Milizen. Ich nehme an, er hat die Stücke in seinem Geschäft verwahrt, oder zu Hause – irgendwo an einem sicheren Ort. Er brauchte sie erst zu transportieren, wenn er einen Käufer hätte – über die Grenze, irgendwohin, wo man das Geschäft gefahrlos abschließen könnte, in die Türkei oder nach Syrien. Die Türkei läge näher; der Weg von Al-Mawsil ist nicht so weit, und man erspart sich die riskante Fahrt durch Bagdad.»
    Immer neue Fragen kamen Evelyn. «Aber wie hat er es bekommen? Hat er nicht gesagt, wo er es gefunden hat?»
    Faruk antwortete nicht. Er schaute an Evelyn vorbei, und plötzlich blitzte Angst in seinen Augen auf. Er griff nach ihrer Hand. «Wir müssen weg. Sofort .»
    Zuerst drangen seine Worte gar nicht zu ihr durch. Sie schwebten einfach in der Luft, ein losgelöstes Parallelgespräch, das nicht für sie gedacht war, nicht für sie gedacht sein konnte, ein Gespräch, das sie nur von ferne mithörte. Dann spürte sie, dass sie beinahe reflexartig und ohne eigenes Zutun den Kopf drehte und seinem erschrockenen Blick folgte. Sie sah zwei kräftige Männer, die ihr irgendwie bekannt vorkamen. Sie drängten sich rabiat durch die Menge und kamen geradewegs auf sie zu.
    Faruk kugelte ihr fast den Arm aus, als er sie mit sich zog, und hastig liefen sie durch das Gewimmel der ahnungslosen Passanten davon.

7
    Wieder pulsierte Adrenalin durch

Weitere Kostenlose Bücher