Immortalis
dämmerte. Wenn diese Archäologin doch nicht nur eins der enttäuschten Opfer dieses Mannes war, wenn dieser Webster wirklich etwas für sie empfunden hatte … dann würde er die Frau vielleicht dazu benutzen können, ihn zu ködern.
Der Lockruf der Jungfer in Not.
Im Kino funktionierte es immer.
Er musste nur dafür sorgen, dass ihr Hilferuf laut genug war.
29
Mia zog das Foto näher heran.
Das Gesicht gehörte einem Mann, der in einigem Abstand von einer Gruppe verschwitzter, lächelnder Arbeiter stand und reserviert lächelte. Konzentriert bemühte sie sich, dieses Gesicht mit dem von Panik erfassten Mann zu verbinden, der beinahe in ein Auto gestopft und zusammen mit ihrer Mutter ins Ungewisse verschleppt worden wäre.
Sie hielt das Bild in die Höhe. «Der hier.» Sie gab es Corben und zeigte auf den Mann, den sie zu erkennen glaubte.
Corben betrachtete es und drehte das Bild um. Auf der Rückseite standen mit Bleistift geschriebene Namen. Es war die gleiche elegante Handschrift wie in den Aufzeichnungen. Er wandte das Foto hin und her, um die Namen den Gesichtern zuzuordnen. «Anscheinend heißt er Faruk.»
«Nur Faruk?»
«Das ist alles.» Corben zog sein Notizbuch hervor und schrieb den Namen auf. «Kein Familienname.»
Mia sah ihn enttäuscht an. «Genügt das?»
Corben legte sein Notizbuch auf den Tisch. «Es ist wenigstens etwas.» Er studierte das Gesicht auf dem Foto, als wolle er es sich genau einprägen. «Schauen Sie auch den Rest durch, ja? Vielleicht gibt es noch ein Bild von ihm.»
Sie tat es, aber ohne Erfolg. Immerhin, jetzt hatten sie wenigstens ein Gesicht und einen Namen, und vermutlich konnten Corbens Leute etwas damit anfangen.
Mia legte die Fotos beiseite. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu Evelyn zurück. Sie war seit fast vierundzwanzig Stunden verschwunden. Die ersten achtundvierzig Stunden waren die kritischste Phase in einem Vermisstenfall. Wenn das zutraf, war die Zeit, die ihnen blieb, Evelyn lebendig zu finden, schon zur Hälfte verstrichen.
«Wie wollen Sie ihn ausfindig machen?», fragte sie.
«Ich weiß es nicht. Wir haben nicht viele Anhaltspunkte. Da ist ihr Terminplaner, aber für diese Woche ist nichts eingetragen. Jetzt, da wir einen Namen haben, muss ich den Planer noch einmal durchsehen; vielleicht enthält er Kontaktdaten. Dann haben wir ihr Handy. Wir müssen uns die Anruflisten ansehen. Vielleicht ist seine Nummer dabei. Das Gleiche gilt für ihren Laptop. Aber der ist passwortgesichert, und es kann eine Weile dauern, bis wir hineinkommen.»
Sie nickte nüchtern und nahm Faruks Foto wieder in die Hand und schaute es hilflos an. Aber dann kam ihr ein Gedanke.
«Er hat mich gesehen, da bin ich sicher», sagte sie zögernd. Noch immer betrachtete sie das Foto und dachte dabei an den vergangenen Abend. «Er hat mich gesehen, als ich in die Gasse kam.»
Corben sah sie unsicher an.
«Er wird mich wiedererkennen. Das bedeutet, er wird mir vertrauen, wenn er mich wiedersieht. Vielleicht können wir uns das zunutze machen. Vielleicht können wir ihn irgendwie hervorlocken.»
«Was – mit Ihnen als Köder?», fragte Corben ungläubig. «Wir wollten Sie aus dem Scheinwerferlicht heraushalten. Schon vergessen?»
Mia nickte. Trotzdem hatte sie das Gefühl, einen Faden gefunden zu haben, den sie noch ein wenig weiterspinnen wollte. Er hatte sie gesehen, und er würde ihr wahrscheinlich vertrauen. Das musste doch nützlich sein. Ihre Gedanken kehrten zurück zu ihrer Unterhaltung mit Evelyn. Was hatte ihre Mom gesagt? Ihr Kollege. Er war bei ihr gewesen.
«Da gibt es einen Archäologen namens Rames. Er arbeitet mit meiner Mom zusammen. Ein junger Mann. Er ist gestern mit ihr in den Süden gefahren, damit sie sich diese Krypta ansehen konnte. Sie sagte, er war dabei, als dieser Faruk auftauchte.»
«Im Hotel haben Sie ihn nicht erwähnt», stellte Corben fest.
Sie machte ein zerknirschtes Gesicht. «Tut mir leid, ich hätte es tun sollen. Aber jetzt denke ich mir, vielleicht weiß er etwas. Vielleicht hat Evelyn ihm erzählt, was passiert ist.»
Corben brauchte einen Moment, um das alles zu verarbeiten. «Sie kennen den Mann?»
«Ich bin ihm einmal begegnet, als ich in Moms Büro auf dem Campus war.»
«Okay, gut.» Corben schrieb den Namen in sein Notizbuch. Dann sah er auf die Uhr und runzelte die Stirn. Es war schon nach neun. «So spät wird er nicht mehr in der Universität sein.» Er nahm Evelyns Terminplaner aus seinem Aktenkoffer, aber dann
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