Immortals after Dark 01 - Unsterbliche Sehnsucht
lebst du?«, stieß er hervor, die Unterarme auf den Lenker gelegt, der Tonfall ungläubig.
Sie bemühte sich, es aus seiner Perspektive zu sehen. Nebel hatte sich wie ein Leichentuch über den Besitz gelegt, der im Stakkatorhythmus von Blitzen erleuchtet wurde. Überall standen Blitzableiter, die jedoch leider nicht jeden Blitz auffingen, wie die riesigen Eichen am Haus bezeugen konnten, von denen träge Rauch aufstieg. Die Waldnymphen – diese kleinen Schlampen – hinkten mit der Reparatur der Bäume gewaltig hinterher. Wenn Myst nur noch ein einziges Mal hören musste, wie sie »Aber Myst, Baby, da war doch diese Orgie« als Entschuldigung winselten …
»Höllisch«, sagte Wroth.
Sie neigte den Kopf zur Seite. In früheren Zeiten stieß man ein Schwert in die Erde, um ein Grab zu kennzeichnen, und ihr war es immer schon so vorgekommen, als ob die Blitzableiter diesen Ort wie eines dieser Massengräber aussehen ließen. Selbst aus dieser Entfernung hörte man Schreie und Kreischen aus dem Haus. Walküren kreischten sehr oft. Wenn Annika richtig wütend wurde, gingen in drei Gemeinden gleichzeitig die Alarmanlagen der Autos los.
Na gut, vielleicht war es ein bisschen höllisch.
»Zeit, dass dich jemand von hier wegholt«, sagte er mit verkniffener Miene, während sie sich dem Haus weiter näherten.
Sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Du vergisst dabei eins. Ich gehöre hierher. Ich bin genauso sehr Monster wie alles, was dort drin wartet.«
»Du magst vieles sein, Braut, aber du bist kein Monster.«
»Da hast du recht. Ich bin die, von der Monster wie du fürchten, dass sie unter eurem Bett liegt.«
»Aber jetzt bist du in meinem Bett, wo du auch hingehörst.«
»Ach, und in diesem unserem Leben, das du dir in deinem kranken Hirn ausmalst, werde ich mich nicht dagegen wehren?«
Er schüttelte den Kopf, als er den Wagen am Ende der mit Kies bedeckten Zufahrt parkte. »Nein. Ich bin mir dessen wohl bewusst, dass du stärker bist, als es den Anschein hat. Ich weiß, dass andere Wesen eher sterben als deinen Zorn riskieren würden. Aber ich werde niemals gestatten, dass du dich noch einmal in Gefahr begibst.«
Sie klimperte mit den Lidern und sagte mit honigsüßer Stimme: »Weil ich so verflixt kostbar für dich bin?«
»Ja«, erwiderte er einfach. Sie verdrehte die Augen. Er stieg aus. Sie wollte ihm gerade folgen, als er sich schon blitzschnell auf ihre Seite des Wagens transloziert hatte, um ihr die Tür zu öffnen. Er sah sie an, als ob sie verrückt wäre, dass sie nicht auf ihn gewartet hatte, damit er ihr helfe.
Perfekt. Ein Gentleman-Krieger. Für die sie möglicherweise eine Schwäche hatte, wie sie langsam feststellen musste.
»Nimm meine Hand«, befahl er, als sie den Weg zum Haus entlanggingen.
»Hat der große, starke Vampir etwa Angst, dass die kleine Walküre wegläuft?«
Er wandte ihr mit zusammengezogenen Brauen das Gesicht zu. »Ich möchte einfach nur deine Hand halten.«
Wieso begann es auf einmal in ihrer Bauchgegend zu kribbeln? Und warum machte es ihr überhaupt nichts aus, dass ihre Hand in seine große, raue Hand schlüpfte, die sie fest und sicher umschloss? So näherten sie sich dem höhlenartigen Dreißig-Zimmer-Haus.
Er wirkte angespannt, bereit, sie innerhalb von Sekundenbruchteilen wegzutranslozieren. Beinahe hätte er ihr leidgetan, als ihr klar wurde, dass er so etwas wie ihr Zuhause noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Er war Teil der Mythenwelt und doch in vielerlei Hinsicht noch genauso menschlich, wie er es einst gewesen war.
Nachdem er ihr befohlen hatte, ihm das Fenster zu ihrem Zimmer – und damit ein konkretes Ziel – zu zeigen, war er imstande, sie beide dort hineinzutranslozieren. Drinnen angekommen, musterte er jedes Detail des mit Spitze und Seide erfüllten Zimmers mit diesen Augen, denen nichts zu entgehen schien. Ihre Rolle innerhalb des Kovens war die des süßen kleinen Mädchens. Ihr Zimmer mit den Kerzen und Seidenlaken und ihr Lebensstil kamen dem der Menschen noch am nächsten.
Ihr Zimmer lag gleich neben Caras Zimmer, das allerdings lediglich eine spartanische Schlafmatte, ihre antiken geflügelten Helme und eine lange Kette aus Vampirzähnen enthielt, die sie als Trophäen mitgenommen hatte. Auf der anderen Seite der Galerie lag das Zimmer der zierlichen, scheuen Emmaline. Wenn sie auch zum Teil Walküre war, war sie doch durch und durch Vampir und hatte sich ihr kleines Nest auf dem Boden unter dem unbenutzten Bett
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