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Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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so etwas wie eine eigene
Geschichte gehabt. Fasziniert hatte Thalius von britannischen Rebellen gelesen, die versucht hatten, das römische Joch abzuschütteln. Sie hatten sich Briganten, Icener oder Catuvellaunen genannt – Namen, von denen Thalius geglaubt hatte, sie bezögen sich nur auf römische Verwaltungseinheiten. Er hatte keine Ahnung, wie die noch ältere Historie dieser untergegangenen Volksstämme ausgesehen haben mochte. Bei seinen Nachforschungen in der Familiengeschichte hatte er zu seinem Erstaunen festgestellt, dass er selbst zumindest teilweise von brigantischer Herkunft war.
    Jetzt betrachteten sich die Britannier selbst als Römer  – und wenn sie rebellierten, wie Carausias, taten sie das innerhalb des Systems; sie versuchten nicht, es umzustürzen. Die Menschen von damals, seine eigenen Vorfahren, hatten eine andere Einstellung gehabt als die Menschen von heute, dachte Thalius. Er fragte sich, wie viel sich in den römischen Jahrhunderten noch verändert hatte oder verloren gegangen war.
    Draußen waren Geräusche zu hören. Volisios’ Schreibstube hatte kleine, blau getönte Glasfenster; als Thalius hinausschaute, sah er eine Gruppe von Arbeitern, die aus einem Bergwerksschacht heraufgebracht und zu einer primitiven Baracke geführt wurden. Als sie vorbeikamen, schauten sie wütend zur Hütte des Aufsehers herüber. Thalius fröstelte trotz der schweren Eisen, mit denen die Sklaven an den Beinen und am Hals gefesselt waren.
    Volisios trat neben ihn. »Vor denen brauchst du keine Angst zu haben«, sagte er mit leiser Verachtung.
»Die meisten sind ihr ganzes Leben lang so erbarmungslos ausgepeitscht worden, dass sie keine Hand gegen dich erheben würden, selbst wenn man ihnen die Ketten abnähme. Man muss das tun, weißt du.«
    »Was?«
    »Sie hart anfassen. Ich weiß, was du denkst, dass dies ein brutaler Ort ist. Aber ich muss meine Sklaven unterdrücken, um sie bis auf den letzten Blutstropfen auszupressen, weil die Steuereinnehmer mich auspressen. So ist das nun mal.«
    »Aber ist das der einzige Weg?«, sagte Thalius leise, auf einmal entsetzt von Volisios’ blutleeren Erklärungen.
    Volisios sah ihn ausdruckslos an. »Natürlich ist das der einzige Weg. So sind die Dinge eben. So sind sie immer gewesen, und so werden sie auch immer sein.«
    »Geht es wirklich nicht anders, Aufseher?« Thalius war zwar vielleicht etwas weltfremd, aber auch ein fantasievoller, nachdenklicher Mensch, und es war ein Tag voller intensiver Eindrücke für ihn gewesen: die höllischen Zustände in der Mine, die elende Verfassung seines Sklavenverwandten, die mächtigen, mahlenden Maschinen im Bergwerksschacht. Jetzt schüttelte er eine rasche Spekulation aus dem Ärmel. »Überleg doch mal. Dort unten habt ihr Männer, die Erz abbauen, und Wasserräder, die die Schächte leer pumpen. Was wäre, wenn ihr weitere Wasserräder installieren und mit deren Hilfe euer Erz abbauen würdet?«
    »Unmöglich«, sagte Volisios sofort.
    »Gewiss nicht für einen Baumeister, der erfindungsreich
genug ist, um eine Orgel mit Wasserantrieb zu konstruieren. Was wäre, wenn das Bergwerk den Abbau eigenständig vornehmen könnte , so wie eine Orgel in einem Amphitheater ohne menschliche Hände spielt? Kannst du dir das nicht vorstellen? Wäre es nicht möglich, dass das Imperium mit einer solchen Einkommensquelle wieder reich werden könnte, reich und stark – und dass niemand dafür leiden müsste?«
    Volisios runzelte die Stirn. »Bist du ein Freund von Apparaten, Thalius? Ich habe mich immer eher zu episteme als zu techne hingezogen gefühlt – zu wahrem, tiefem Wissen statt zu billigen Tricks und Kniffen.«
    Thalius ärgerte sich über diesen mit griechischen Begriffen verbrämten Snobismus. »Müssen wir so beschränkt sein in unserem Denken? Mich interessiert ein einzelnes Wasserrad mehr als tausend längst tote griechische Philosophen!«
    »Nun, das ist deine Sache.«
    »Ja, aber was wäre, wenn …?«
    »Außerdem, was sollten wir mit den ganzen Sklaven machen? Sie freilassen? Sie würden uns im Handumdrehen abschlachten.« Und Volisios wandte sich lachend ab.
    Thalius schaute aus dem Fenster, lauschte dem mahlenden Geräusch der riesigen Maschinen tief unter der Erde und dem Ächzen menschlichen Elends, und seine rudimentäre Vision einer technologischen Zukunft löste sich in Luft auf.
    Endlich brachte Tarcho den Jungen herein.

IV
    Audax war gewaschen, sein helles Haar geschnitten und gebürstet, und er trug

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