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Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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eine frische Tunika. Er war wahrscheinlich so sauber und vorzeigbar wie noch nie in seinem Leben, dachte Thalius. Er bestand jedoch nur aus Haut und Knochen, und es gab Spuren wie die blauen Flecken um seinen Mund, die man auch mit noch so viel Wasser nicht wegwaschen konnte. Aber Audax klammerte sich an Tarchos Hand, und Thalius sah, dass es Tarcho irgendwie gelungen war, sein Vertrauen zu gewinnen.
    Thalius fiel auf, dass der Junge in seiner Gegenwart noch kein einziges Wort gesprochen hatte.
    »Abgesehen von diesen Narben auf seinem Rücken ist er bei leidlich guter Gesundheit«, sagte Tarcho jetzt. »Nichts, was ein bisschen Sonne und anständiges Essen nicht kurieren könnten.« Vorsichtiger fuhr er fort: »Er hat allerdings ein paar blaue Flecken an den Oberschenkeln. Außerdem Verletzungen am Mund und am Hals, und …«
    »Es reicht«, blaffte Thalius.
    Tarcho sagte zu dem Aufseher: »Ich weiß, wie es an Orten wie diesem zugeht. So ein hübscher Junge wird für ein Stück Brot verkauft.«

    »Was hast du erwartet?«, gab Volisios zurück. »Aber die Dinge sind komplizierter, als du wahrscheinlich denkst, Soldat. Die Männer sind in der Dunkelheit und der Feuchtigkeit gefangen, und sie suchen Trost beieinander, denn sonst haben sie ja nichts. Manche unserer älteren Arbeiter sind sogar ›verheiratet‹, und ihre ›Ehen‹ funktionieren besser als meine eigene! Mag sein, dass dieser Junge misshandelt worden ist, aber es ist durchaus auch möglich, dass man ihn gut behandelt hat.« Doch er sah den Jungen bei diesen Worten nicht an und bat ihn auch nicht, es zu bestätigen oder zu widersprechen.
    »Und die Male auf seinem Rücken?«, fragte Thalius behutsam.
    Tarcho nickte dem Jungen zu. Audax drehte sich um, hob seine Tunika hoch und entblößte dünne Beine, einen flachen Po und einen Rücken voller bläulich verfärbter Narben. Aber jetzt, wo der Schmutz weggewaschen war, konnte Thalius deutlich die Linien von sechzehn im Quadrat angeordneten Buchstaben erkennen:

    Tarcho kratzte sich am Kopf. »Und ist es nun das, weshalb du hergekommen bist?«
    »Wahrscheinlich.«

    »Der Junge erinnert sich nicht daran, dass er diese Tätowierung bekommen hat.«
    »Das überrascht mich nicht«, sagte Thalius. »Siehst du, wie lang gestreckt und verzerrt die Buchstaben sind? Man muss ihm die Male beigebracht haben, als er noch sehr klein war, ein Säugling vielleicht. Als er dann größer geworden ist, sind sie mit ihm gewachsen. Vielleicht hat auch schon sein Vater und dessen Vater vor ihm diese Male gehabt, und sie sind jeweils bei der Geburt kopiert worden …« Thalius sah es bildlich vor sich: ein Sklave, der auf schmerzhafte Weise Buchstaben in die empfindliche Haut seines Kindes ritzte, vielleicht mit einem Quarzsplitter aus den Goldflözen, und Schmutz oder Pflanzenfarbe hineinrieb.
    Es war der Fluch von Severas Verurteilung zur Sklaverei gewesen, dass wahrscheinlich schon ihre Enkelkinder nicht einmal mehr lesen und schreiben konnten. Nachdem die Prophezeiung verbrannt worden war, würden ihre Worte nach zwei, drei Generationen verloren sein. Doch offenbar hatte jemand einen Weg gefunden, dachte Thalius aufgeregt, zumindest einen Teil des Textes zu bewahren, indem er ihn in den Körper der Kinder ritzte. Thalius hatte etwas über seine Urahnin Severa gelesen; vielleicht hatte diese harte Frau selbst diese Methode ersonnen, die Prophezeiung in Blut und Schmerz zu retten.
    Volisios hatte einen Großteil seines Respekts vor Thalius verloren, seit dieser zugegeben hatte, dass er kein Regierungsinspektor war. »Du hast also, was du
wolltest. Was wirst du nun mit dem Jungen tun? Ihn wieder in die Grube schicken? Oder möchtest du, dass er dir vorher noch das Bett wärmt?«
    »Du widerst mich an«, fauchte Thalius.
    Aber Tarcho sagte: »Eigentlich hat er nicht ganz unrecht, Thalius. Sklaven sind teuer, weißt du.«
    »Er ist ein Blutsverwandter«, sagte Thalius. »Kein sehr enger, aber immerhin ein Blutsverwandter. Ich werde ihn nicht hier lassen, damit er zu Tode vergewaltigt wird. Nenne deinen Preis, Aufseher.«
    Volisios nickte und griff geschäftsmäßig nach einem hölzernen Notizblock und einer Feder.
    Der Junge beobachtete das alles mit großen Augen; sicherlich hatte er kein Wort verstanden.
    Tarcho betrachtete erneut die Tätowierung. »Aber was bedeutet das?«
    »Ich weiß es nicht. Noch nicht. Aber es ist eindeutig ein Akrostichon.«
    »Ein was? Egal. Und wohin wird uns deine Suche als Nächstes

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