Imperator
nicht das Selbstvertrauen, von dem Entwurf abzuweichen.«
»Interessante Symbolik.« Cornelius tippte mit einem Fingernagel auf das chi-rho . »Das habe ich schon einmal gesehen.«
Aurelia entrollte sich träge von ihrer Liege und gesellte sich zu ihnen. »Es nennt sich Christogramm. Die ersten beiden Buchstaben von Christus’ Namen auf Griechisch, übereinandergelegt – siehst du?«
»Ich habe das auf Tempelmauern gekritzelt gesehen. Sogar in Rom.«
»Ein Relikt aus der Zeit der Verfolgung«, meinte Thalius. »Symbole wie dieses haben eine unter Druck stehende Gemeinschaft vereint.«
»Aber jetzt stehen die Christen nicht mehr unter Druck«, entgegnete Cornelius. »Und euer Christogramm ist ein Symbol des Stolzes geworden, nicht wahr?«
»Oh, das Christogramm ist mehr als das«, sagte Aurelia. »Schau noch einmal hin, Cornelius. Hast du solche Zeichen nicht auch in anderen Zusammenhängen gesehen?«
Cornelius trat zurück und legte den Kopf schief. »Ja, in der Tat. In Ägypten, glaube ich. Es hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem ankh , einem uralten mystischen Symbol – gewiss viel älter als das Christentum!«
»Als kleines Mädchen habe ich die griechische Schrift erlernt«, sagte Aurelia leise. »Es hat auch gewisse Ähnlichkeit mit einem Zeichen, das man bei der Bearbeitung eines Schriftstücks verwendet – chi-rho für chreston , was ›gut‹ bedeutet.«
»Also ein Symbol mit vielen Bedeutungen«, sagte Cornelius.
»Aber das ist Absicht«, sagte Aurelia. »Man kann ein chi-rho an seine Wand malen; ein Christ wird das Christogramm sehen, ein Heide ein ägyptisches Glückszeichen. Es spricht jeden an und erregt bei niemandem Anstoß. Es ist klug von den Beratern des Kaisers, seine Verwendung zu fördern.
Konstantin ist Christ. Jeder weiß das. Und er möchte das Christentum zur Hauptreligion des Reiches machen. Aber so gut wie alle anderen, die Einfluss besitzen – wie du, Cornelius! –, sind nach wie vor Heiden. Auch die meisten Angehörigen des Heeres, obwohl Konstantin einer der ihren ist. Konstantin und die Bischöfe, die ihn manipulieren, gehen geschickt vor, mit Werkzeugen wie diesem raffinierten kleinen Symbol. Aber wie der Regen, der auf deine Dachziegel prasselt, Cornelius, bringt jeder Tropfen euch Heiden näher an den Tag, an dem das Dach einstürzt.«
»Du hast offenbar gründlich über diese Dinge nachgedacht«, meinte Thalius.
»Kaiser machen das Wetter«, sagte sie leise. »Am besten, man schenkt ihnen Aufmerksamkeit. Außerdem fasziniert mich diese ganze geschickte Inszenierung.«
»Inszenierung, ja«, sagte Cornelius. »Und es gibt viele, die von vornherein an Konstantins Ehrlichkeit in Bezug auf seine Bekehrung zweifeln. Wie ist es überhaupt möglich, dass ein guter Heide Christ wird?«
»Oh, ich glaube schon, dass er ehrlich ist«, sagte Aurelia. »Und was seine Bekehrung betrifft, so kannst du hier an der Wand des guten Thalius sehen, wie sie vonstatten gegangen ist.«
Cornelius schaute erneut hin. »Du meinst diesen Strahlenkranz um Christi Kopf?«
»Konstantin ist als Schützling Apollos aufgewachsen«, meinte Aurelia. »Und noch vor einigen Jahren hat er den Sonnengott, Sol Invictus, als seinen Schutzgott
angerufen. Manche würden Apollo mit der Sonne gleichsetzen, und andere setzen die Sonne mit eurem Christus gleich, Thalius; Jesus ist sol justitiae , die Sonne der Gerechtigkeit. Du siehst also, es gibt dort eine auf ihre Weise logische Entwicklung durch eine sich überlagernde Gleichsetzung von Gottheiten, von Apollo über die Sonne zu Christus. Aber es wird eines Tages eine ziemlich schwere Aufgabe für die Biografen sein, aus all dem schlau zu werden.«
Ihre spöttische Analyse ärgerte Thalius. »All diese theologische Trickserei hat nichts mit der wahren Natur von Christus und seiner Botschaft zu tun.«
Aurelia lachte nur.
Cornelius drehte sich zu Thalius um. »Es fällt mir nicht ganz leicht zu verstehen, mein lieber Thalius, was du gegen einen Kaiser hast, der deinen lange an den Rand gedrängten Glauben angenommen hat.«
»Aber Konstantins Glaube ist nicht notwendigerweise auch meiner«, erwiderte Thalius unglücklich. »Konstantins Kriegergott hat nichts mit Christus und seinen Lehren zu tun. Und die Kirche, die er gründet, ist ein Spiegelbild des Mannes und seines Reiches: zentralisiert, autokratisch, intolerant, erbarmungslos. Deshalb sind die echten Christen entsetzt. Viele von uns wenden sich ab – werden Asketen, Eremiten und Mönche,
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