Imperator
Leben.«
»Warum ist es so gut?«
»Weil der Kaiser uns braucht. Das ganze Imperium – die Städte und die Mauern und die Kastelle – ist wie ein riesiger Bauernhof, der die Aufgabe hat, das Heer zu ernähren. Warum? Weil ohne uns alles binnen eines Tages zusammenbrechen würde. Hast du schon mal was von einem Kaiser namens Severus gehört?«
»Von wem?«
»Ist nach Britannien gekommen, um einen Aufstand niederzuschlagen.«
»Carausias?«
»Nein, lange davor. Während er hier war, hat Severus ganz Britannien eingenommen, bis weit nördlich des Walls. Seine Söhne haben es dann wieder verloren. Lange Geschichte. Jedenfalls musste Severus für Ordnung sorgen, und diese Aufgabe hat das Militär für ihn erledigt, und Severus war sich dessen bewusst. ›Gebt den Soldaten zu essen‹, hat er zu seinen Söhnen gesagt, ›auch wenn alles andere vor die Hunde geht.‹ Oder so ähnlich. Ist vor hundert Jahren gestorben, aber er hatte
recht. Und seither hat jeder Kaiser seinen Rat befolgt.«
»Soll ich zum Militär gehen, Tarcho?«
Tarcho sah den Jungen überrascht an. »Na ja, dazu müsstest du aus der Sklaverei freigekauft werden … Willst du das denn? Du müsstest für Rom kämpfen, weißt du.«
»Das würde mich nicht zu einem Römer machen.«
»Nein, stimmt. Aber wenn du kein Römer bist, was bist du dann?«
»Was ich schon immer war. Brigant.«
Thalius hörte fasziniert zu. Unter der Oberfläche Britannias überlebten also die alten Volksstämme, wenn auch nur im Gedächtnis von Sklaven.
»Ich möchte so sein wie du«, sagte Audax jetzt. »Ich habe Muskeln. Schau.« Er hob einen jämmerlich dünnen Arm und beugte ihn, um einen walnussgroßen Bizeps vorzuzeigen.
Tarcho grinste und drückte den Jungen in einem kurzen und untypischen Moment der Zärtlichkeit an seine breite Brust.
»Süß, die beiden«, flüsterte Aurelia. »Wie ein Achtjähriger, der sich um einen Dreijährigen kümmert.«
Cornelius sagte leise: »Ich schlage vor, wir machen weiter, Thalius.«
Thalius holte tief Luft. »Also schön.« Er hustete laut, um seine Anwesenheit anzukündigen, und betrat die Küche.
Tarcho stand überrascht auf und stellte Mörser und Stößel weg. Audax versteckte sich hinter Tarcho. Thalius
scheuchte das erschrockene Küchenpersonal mit einer Handbewegung hinaus.
Tarcho trat vor. »Kann ich etwas für dich tun, Herr?«
Thalius seufzte. »Du leider nicht, aber dein Schützling. Audax! Tritt vor.«
Der Sklave gehorchte, ohne nachzudenken, mit gesenktem Kopf. Tarcho blieb einen Schritt hinter ihm.
Thalius bückte sich und flüsterte: »Tut mir leid, mein Junge. Du musst uns noch mal deinen Rücken zeigen. Aber es dauert nicht lange, und ich verspreche dir, dass dir nichts geschehen wird. In Ordnung?«
Der Junge antwortete nicht. Trotz Tarchos guten Absichten war der Geist des Jungen noch immer nicht mehr als ein Flackern.
Thalius richtete sich auf. »Dreh dich um und hebe deine Tunika hoch. Du weißt, was du tun musst.«
Der Junge beugte sich vor und enthüllte das Buchstabenraster, das er sein Leben lang mit sich herumgetragen, aber noch nie gesehen hatte:
Cornelius bückte sich steif und betrachtete den Jungen. »Erzähl mir noch einmal, woher das stammt, Thalius.«
Thalius zuckte die Achseln. »Ich weiß nur von Sagen,
die über Generationen weitergereicht worden sind. Die ursprüngliche Prophezeiung war ein sechzehnzeiliges Gedicht. Sie wurde auf Hadrians Befehl hin verbrannt. Aber sie enthielt ein Akrostichon – die ersten Buchstaben jeder Zeile, die vielleicht den Kern der Botschaft der Prophezeiung ergeben –, das im Gedächtnis bewahrt und weitergegeben wurde. Und später wurde es dann irgendwann in diesem Gittermuster verschlüsselt.«
»Von deiner berühmten Prophezeiung ist also nur diese Ansammlung von Narben übrig.« Cornelius schaute genau hin und zeigte mit dem Finger auf die Buchstaben. »Nun, wenn es ein Akrostichon ist, dann ist es raffinierter als jenes an deiner Wand, Thalius. Das konnte man von oben nach unten oder von links nach rechts und umgekehrt lesen, und es ergab immer einen Sinn. Dieses hier ergibt überhaupt keinen Sinn, ganz gleich, in welcher Richtung man liest!«
»O doch, das glaube ich schon«, sagte Aurelia. Anspannung prägte ihr gealtertes Fuchsgesicht, und Thalius fragte sich, wie er sie jemals hatte attraktiv finden können. »Es ist so, wie ich es mir vorgestellt habe, aber jetzt, wo ich es vor Augen habe – hier, seht ihr das A und das O unten
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