Imperator
problematisch im Sommer …«
»Und«, sagte Aurelia lakonisch, »es wimmelt dort von potenziellen Gegnern des Kaisers, von dem stets
hungrigen Pöbel bis hin zu alten Familien wie deiner, Cornelius.«
»Das will ich nicht bestreiten. Aber die nackte Wahrheit ist: Die Ostprovinzen sind weitaus reicher als die im Westen. Ist es nicht vernünftig, die Hauptstadt ins Wirtschaftszentrum des Reiches zu verlegen?«
»Nur wenn man will, dass der Rest vernachlässigt wird, verdorrt und stirbt«, entgegnete Aurelia.
»Tja – also sind wir hier, der Christ, der Heide und die Provinzlerin mit den hochgesteckten Zielen, vereint in dem Glauben, dass etwas unternommen werden muss . Aber es wird nichts geschehen, ehe es uns nicht gelingt, die rätselhafte Tätowierung des Kindes zu entschlüsseln, habe ich recht?«
»Da ist etwas dran, ja«, sagte Thalius düster.
Aurelia seufzte und ließ sich wieder auf ihrer Liege nieder. »Ich habe daran gearbeitet, aber leider ohne Ergebnis.«
»Diese Akrostichen sind ein christliches Spiel, nicht wahr? Wie das da an der Wand.« Cornelius zeigte auf ein Kryptogramm, das sorgfältig in eine Ecke des Christusbildes gemalt war:
»Der Maler des Freskos hat es hinzugefügt«, erklärte Thalius.
Cornelius bückte sich, um es besser zu erkennen. »Sehr raffiniert. Liest sich waagrecht und senkrecht, vorwärts und rückwärts gleich. Aber was bedeutet es? Der Sämann Arepo führt sorgsam die Räder . Was ist das, ein Verweis auf ein heiliges Leben? Also wirklich, ich hasse Worträtsel!«
»Vielleicht, aber das ist nicht alles«, meinte Aurelia. Sie erhob sich anmutig, tauchte eine zarte Fingerspitze in das Schwarz einer gelöschten Kerze, kniete sich vor das Akrostichon und schrieb mit ihrem geschwärzten Finger leicht auf die Wand. »Darf ich, Thalius? Es lässt sich bestimmt wieder abwischen. Wie ihr seht, kann man die Buchstaben zu einem Kreuz umstellen – nämlich so.«
Cornelius betrachte das Resultat eingehend. »Ein Kreuz für Christus – hm? Und es heißt in beiden Richtungen Vater unser .«
»Die ersten Worte des gleichnamigen Gebets«, sagte Thalius.
Cornelius runzelte die Stirn. »Aber du hast nicht alle Buchstaben benutzt.« Er verglich das Kreuz mit dem ursprünglichen Akrostichon und tippte mit seinen eigenen geschwärzten Fingern darauf, um die Buchstaben in beiden zu paaren.
»Mein Haushälter wird mir dafür den Bauch aufschlitzen«, stöhnte Thalius.
Cornelius lehnte sich zurück. »Du hast einen Fehler gemacht, Aurelia! Es sind noch zwei A und O übrig.«
»Das ist kein Fehler«, erwiderte Aurelia. »Es ist eine weitere Bedeutungsebene, Cornelius, zumindest für einen Christen. A und O, oder Alpha und Omega: Sie symbolisieren ›Anfang und Ende‹ in der christlichen Offenbarung …« Ihr scharfer Blick wurde glasig. »Oh.«
Thalius fasste sie ein wenig erschrocken am Arm. »Alles in Ordnung?«
»Nein. Doch! Ich glaube, ich habe es.«
»Was denn?«
»Den Schlüssel zum Rätsel deines Sklaven, Thalius – und vielleicht den Schlüssel zu unser aller Schicksal.« Sie stand auf. »Du musst mich zu dem Jungen bringen – sofort!«
X
Thalius führte sie zur Küche, wo Tarcho sich um den Jungen kümmerte. An der Tür empfing ihn der warme Geruch von Brot im Backofen. Drinnen zerstampfte Tarcho mit einem Stößel Gemüse in einem Mörser. Audax stand in der Nähe und sah ihm fasziniert dabei zu. Aus einer Laune heraus blieb Thalius stehen, und seine Gäste warteten neugierig hinter ihm.
Thalius hörte, wie Audax zu Tarcho sagte: »Als du Soldat warst, hast du keine Rüben zerdrückt.« Er lernte schnell, wie sich herausgestellt hatte, aber sein Latein war immer noch rudimentär und unsicher, sein Akzent stark, seine misshandelte Kehle rau.
»O doch, und nicht nur das. Soldaten machen alles selbst.«
»Soldaten kämpfen.«
»Schon, aber nicht immer! Und wenn wir gerade nicht kämpfen, machen wir andere Sachen. Wir errichten Kastelle, legen Straßen an und bauen Brücken.«
»Und zerdrücken Rüben.«
»Wir zerdrücken Rüben und legen Straßen an.«
»Arbeitet ihr auch im Bergwerk?«
»Manchmal.«
Audax schnitt eine Grimasse. »Weshalb solltet ihr im Bergwerk arbeiten?«
»Tja, wenn man den Befehl bekommt, muss man es tun.«
»Dann ist ein Soldat wie ein Sklave. Ihr müsst tun, was man euch befiehlt.«
Tarcho sah den Jungen an. »Nein. So nicht. Ein Soldat ist auf eine Weise frei, wie es ein Sklave nie sein kann. Es ist ein gutes
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