Imperator
ihre Eltern auszusagen.«
»Ich habe solche Dinge gesehen«, sagte Thalius stoisch. Er war sich auch der schockierenden Korruption sehr wohl bewusst, die auf jeder Ebene des Systems grassierte und es noch belastender machte.
Aurelia stellte ihren Weinpokal ab und beugte sich mit eindringlicher Miene vor. »Du bist bereits zu dem Schluss gelangt, dass ich eine egoistische alte Frau bin, die sich ausschließlich für den Inhalt ihres Geldbeutels interessiert. Spar dir die Mühe, es zu leugnen, man sieht es dir an der Nasenspitze an. Aber ich hoffe, du wirst erkennen, dass ich mir nicht nur Gedanken um mein eigenes Wohlergehen mache. Ich glaube, dass Konstantins Steuern auf lange Sicht zu unser aller Ruin führen werden, und ich übertreibe nicht. Und wenn das System zusammenbricht, stürze ich mit ihm. Darum bin ich besorgt. Sagen wir, es ist aufgeklärter Eigennutz.«
Dieses Argument war schwer zu widerlegen, und Thalius hatte es schon oft gehört. Aber genauso wie bei seinen Gesprächen mit Cornelius fragte er sich, ob Aurelia je daran gedacht hatte, dass der Kaiser, bedrängt von steigenden Militärausgaben und ohne andere Einkommensquellen, vielleicht keine andere Wahl hatte, als seine Bürger bis zum Weißbluten zu besteuern. »Gibt es denn einen anderen Weg?«
»Ja, vielleicht. Weißt du, wie mein Gemahl gestorben ist? Natürlich nicht. Er hat unter Carausias gekämpft. Und sein Vater unter Postumus, dem gallischen Kaiser, fünfundzwanzig Jahre vor Carausias. Zweimal seit Menschengedenken haben sich diese Inseln von Rom gelöst. Warum nicht noch einmal? Weshalb muss Britannien für Rom bezahlen? Wieso müssen wir für die Aufrechterhaltung des kaiserlichen Hofes bezahlen – du hast ihn gesehen, Thalius –, für
seine Bürokratie, seine Extravaganzen und sein Bauprogramm, seine zahllosen Kirchen, Kirchen, Kirchen? Und jetzt munkelt man, dass Konstantin plant, eine neue Hauptstadt in noch weiterer Ferne zu bauen, irgendwo im Osten. Weshalb sollten wir dafür bezahlen? Das wüsste ich gern.«
»Und«, sagte er vorsichtig, »würdest du dich gegen Konstantin stellen?«
»Ah.« Sie lächelte und lehnte sich träge zurück, auf undefinierbare Weise erotisch. »Das ist die Frage – und da kommen wir zu deiner Prophezeiung. Ich bin keine Spielerin, Thalius.«
»Du wirst dich gegen Konstantin stellen, wenn du dir deines Sieges sicher bist. Die Prophezeiung soll dir den Rücken stärken.«
»Dir nicht auch? Und«, fügte sie ernst hinzu, »stimmt es, dass deine Prophezeiung von Freiheit spricht? Hat dieser unbekannte Seher, der Weber des Zeitteppichs, die Befreiung der Westprovinzen von Konstantins Unterdrückung versprochen?«
Thalius erinnerte sich an Cornelius, dessen Freiheitstraum in der Freiheit bestand, ein traditioneller Römer zu sein; für diese britannische Frau bestand er in der Freiheit von den Fesseln des Zentrums, darin, britannisch-römisch zu sein anstatt römisch. Aber das waren gewiss nur Fantasien, mit denen verführerische Phrasen in einem Dokument befrachtet wurden, das schließlich verloren gegangen war.
»Ich weiß nichts von Freiheit«, sagte er trocken. »Und auch nichts von den Absichten des Webers.
Selbst der Name ›Weber‹ ist nur ein Wort, das von meinem Vorfahren stammt und immer weitergegeben wurde. So ist es auch zu dir gekommen, ein Fragment der Spekulation. Wir wissen nichts über ihn, falls er überhaupt existiert.«
Sie beugte sich vor. »Da wir uns jetzt verstehen, willst du mir nicht deinen Sklaven mit der tätowierten Haut bringen?«
Thalius widerstrebte das sehr. Seit seiner Begegnung mit Cornelius hatte er ständig das Gefühl, dass er Schritt für Schritt einen äußerst gefährlichen Weg eingeschlagen hatte. Und doch, was blieb ihm anderes übrig, selbst jetzt?
Er wandte sich an seinen Haushälter und befahl ihm, den Jungen zu holen.
IX
Zwei Tage später lud Thalius Cornelius und Aurelia nachmittags in sein Stadthaus in Camulodunum ein. Er hatte dafür gesorgt, dass in seinem Esszimmer, dem triclinium , Speisen, Wein und Wasser bereitstanden, sodass sie nicht von Bediensteten gestört werden mussten, und er bestand darauf, dass auch seine Gäste ihre Diener draußen ließen; er schickte sie in die Küche, wo sie etwas zu essen und zu trinken bekommen würden. Und er erteilte seinem Haushälter den strikten Befehl, niemanden in den Raum zu lassen – und auch selbst draußen zu bleiben –, bis er, Thalius, ihm andere Anweisungen gab.
Cornelius machte
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