Imperator
Erfahrung als Gouverneur von Pannonien auch in militärischer und politischer Hinsicht. Claudius war gewieft genug, sich jemanden auszusuchen, dem er vertrauen konnte – aber das hatte ihn nicht daran gehindert, Narcissus mitzuschicken, damit dieser ein Auge auf alles hatte.
So wie der Kaiser Aulus Plautius vertraute, so konnte Narcissus Vespasian vertrauen, wie er wusste. Narcissus hatte seinen Einfluss geltend gemacht, um Vespasian diesen Posten in Britannien – sein erstes Legionskommando – zu verschaffen. Vespasian stammte aus einfachen Verhältnissen; dank der guten Verbindungen seiner Mutter war es ihm gelungen, die gesellschaftliche Leiter emporzuklettern. Auf seinem ersten militärischen Posten als Tribun der Reitertruppen in Thrakien hatte er seine Sache gut gemacht. Narcissus hielt fortwährend Ausschau nach jungen Männern wie Vespasian, die offenkundig begabt waren und vorankommen wollten, aber von ihrer gesellschaftlichen Herkunft daran gehindert wurden. Sie gehörten zu den Hungrigen, die auf eine Gunst angewiesen waren – und einem danach stets etwas schuldeten.
»Nun ja, es ist ein Wunderwerk, ganz gleich, wie dieses Abenteuer ausgeht«, sagte Narcissus. »Schau dir diese lang gestreckte Staubwolke an, die wir aufwirbeln. Sie zieht sich durchs ganze Land wie ein Traum von der Straße, die eines Tages hier entstehen wird.«
Vespasian grunzte. »Nicht ›eines Tages‹, Sekretär – heute.« Er zeigte auf die Nachhut der Kolonne.
Hinter dem kurzen Gepäckzug und nach klobigen Gebilden, bei denen es sich um die Einzelteile vorgefertigter Belagerungsmaschinen handelte, machte Narcissus langsamer vorrückende Einheiten aus; er sah Fähnchen flattern und die Spiegel von Landvermessern aufblitzen. »Sie bauen die Straße schon?«
»Warum nicht? Wir haben diesen Weg nicht zufällig gewählt; wahrscheinlich wird er auf Jahrzehnte hinaus eine Hauptverkehrsader von Rutupiae ins Landesinnere sein. Da können wir es auch gleich richtig machen. Jedenfalls sind die Soldaten dadurch beschäftigt, und das kann ja nicht schaden.«
»Und wir zeigen den Einheimischen, dass wir die Absicht haben zu bleiben.«
»Ganz recht.«
»Aha. Aber in was für einem Land wollen wir hier eigentlich bleiben?«
Narcissus zog an seinen Zügeln, wendete sein Pferd und schaute auf die Landschaft des südlichen Britannien hinaus. Er sah ein sanft gewelltes Terrain. Waldgebiete ballten sich auf Hügelkuppen und ergossen sich in die Täler – er glaubte, an einem Waldrand Schweine schnüffeln zu sehen –, aber der größte Teil des Landes war gerodet und von einem bunten Flickenteppich aus Feldern und Äckern überzogen. Überall standen Rundhäuser, gedrungene, dunkle Kegel. Das Gebiet war offenkundig dicht bevölkert – wenngleich es heute verlassen dalag; als die Leute die römische Armee hatten
kommen sehen, waren sie vernünftigerweise weggelaufen oder hatten sich versteckt.
Es gab verblüffend viele kreisrunde Strukturen: die Häuser, Gräben und Wälle, aber auch Kreise aus aufgerichteten Steinen, bei denen es sich nach allem, was er wusste, vielleicht um ehemalige Festungen oder Tempel oder einfach nur Gehege für die Schafe handelte. Ihm kam der Gedanke, dass Britannien aus der Luft betrachtet – vielleicht von einer neugierigen Krähe –, von Kreisen bedeckt wäre, wie ein schlammiges Feld im Regen.
Römer bauten jedoch geradlinig, und darum würde die neue Militärstraße diese Landschaft aus Kreisen so brutal wie ein Schwerthieb durchschneiden. Römerstraßen führten über lange Strecken geradeaus, weil sie für marschierende Armeen gedacht waren, und solange sie eine gute Oberfläche und eine funktionierende Entwässerung besaßen und nicht zu steil für einen Soldaten mit seinem Gepäck waren, konnten sie so gut wie jede Landschaft durchqueren.
Narcissus wusste, dass diese stupende Geradlinigkeit an sich schon ein bedrückendes Merkmal römischer Vorherrschaft war. Er befand sich hier in einem Land jenseits des Ozeans, einem Land am äußersten Rand des römischen Gesichtskreises, jenseits dessen Dunkelheit und Wahnsinn harrten. Die Armee aber war hier, um dem Chaos Ordnung aufzuzwingen.
So lautete jedenfalls die Theorie. Doch dieses »Chaos« bestand aus ordentlichen kleinen Feldern und Bauernhäusern, dachte er. »Wir sind hier, um den
Mond zu zivilisieren«, sagte er leise. »Aber hier gibt es bereits eine Zivilisation!«
»Und zwar eine friedliche«, stimmte ihm Vespasian ebenso leise
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