Imperator
Wasser. Aber hier lag sie, stumm und reglos, das Gesicht mit Erde geschwärzt, denn sie spähte die römische Armee aus.
Obwohl sie in Gallien erzogen und ausgebildet worden war, hatte der Anblick einer römischen Armee auf dem Marsch aus solcher Nähe selbst sie überwältigt. Die Zehntausende dicht aufeinander folgender Männer hatten ihrer Schätzung nach nicht weniger als drei Stunden gebraucht, um an ihr vorbeizuziehen. Die ganze Zeit über war der Lärm ohrenbetäubend gewesen. Die Römer flößten ihr gewaltigen Respekt ein, wenngleich sie sich an ihrer Scherbe des Hasses wegen Mandubracius und ihrem Rachedurst festklammerte.
Aber sie bewahrte einen klaren Kopf. Sie hatte versucht, die Soldaten und Einheiten, Gepäckkarren und Lasttiere zu zählen, und bereits einen Läufer mit ersten Informationen zu dem Lager geschickt, das Caratacus etwas weiter westlich aufgeschlagen hatte, am Ufer des Cantiacer-Flusses. Trotz ihrer kriegerischen, großen
Worte hatten die Fürsten fürs Erste Nectovelins Rat befolgt, zu beobachten, Informationen über die Römer zu sammeln und nur kleine Zermürbungsangriffe gegen sie zu unternehmen. Deshalb gehörte Agrippina nun zu einem Netz aus Spähern im ganzen Land.
Nachdem der Hauptteil der Streitmacht an ihr vorbeigezogen war, blieb sie auf ihrem Posten, um zu sehen, was danach kommen würde. Sie erhielt eine Lektion in römischer Straßenbautechnik.
Es hatte schon vor der Ankunft der ersten Soldaten begonnen. Landvermesser, geschützt von einer Reitertruppe, bezogen Positionen auf Kämmen und Hügeln. Sie hatten geheimnisvolle Apparaturen aus Holz, Schnüren und Bleigewichten dabei, die sie sich vor die Nase hielten. Agrippina nahm an, dass es darum ging, einen geraden Straßenverlauf zu gewährleisten. Anschließend wurde die Route mit Stöcken markiert, die alle paar Schritte in den Boden gesteckt wurden, und die Vermesser eilten weiter zu ihrer nächsten Position.
Nachdem der Hauptteil der Armee auf der markierten Strecke vorbeigezogen war, folgte ein Bautrupp. Er schien aus Soldaten zu bestehen; ein Karren, auf dem sich Rüstungen und Waffen stapelten, begleitete sie, auch wenn jeder von ihnen noch ein Messer im Gürtel trug.
Sie arbeiteten sich einen Weg entlang, der bereits von vierzigtausend Stiefelpaaren und Zehntausenden Hufen aufgewühlt worden war. Zuerst reinigten sie die zentrale Spur von Unterholz, dann hoben sie zu beiden Seiten Gräben aus und häuften das Erdreich
auf die Trasse. Auf den Kamm aus Erdreich stapelten sie erst große, schwere Steine, dann eine Schicht aus kleineren Steinen, und schließlich schaufelten sie Kies darauf und verteilten ihn grob. Die kleineren Steine und den Kies führten sie in Karren mit, aber die schweren Steine besorgten sie sich vor Ort – meist aus den Trockensteinmauern örtlicher Gehöfte, aber es waren keine Bauern da, die sich beschweren konnten. Schließlich gingen die Soldaten-Bauwerker auf dem neu angelegten Straßenstück hin und her und stampften den Kies mit schweren Pfosten fest.
Die Soldaten sangen bei der Arbeit unter der angenehm warmen britannischen Sonne. Viele ihrer Arbeitslieder waren lateinisch, aber Agrippina hörte auch etwas Gallisch und sogar ein wenig Germanisch heraus. Roms Soldaten kamen heutzutage nicht nur aus Rom.
Agrippina hatte Gallien gesehen; sie wusste, was die Zukunft brachte. Von diesen Anfängen aus würden sich die Straßen über das Land ausbreiten wie Efeu über eine Mauer, würden sich teilen und ihre schnurgeraden Segmente hervorschießen lassen, bis jeder Winkel des Landes erreicht war. Botschaften würden gedankenschnell über die Straßen jagen, und wenn die Soldaten das nächste Mal in diese Richtung marschieren mussten, würden sie viel schneller vorankommen als heute, durch den Schlamm und den Schmutz. Und die jungen Kämpfer Britanniens, die heute Überfälle auf die vorrückenden Römer vorbereiteten, würden künftig auf diesen Straßen weggeführt werden, um in
Germanien, Thrakien und Asien zu kämpfen, fern von der nebligen Kühle ihres Heimatlandes. So schluckte das Imperium seine Feinde und benutzte sie für seine weitere Ausdehnung …
Eine Hand schloss sich um ihren Mund. Agrippina wehrte sich, wurde jedoch auf den Boden gedrückt. Schreckliche Erinnerungen an die Nacht am Strand überfluteten sie. Doch dann wich die Last von ihrem Rücken, und sie konnte sich umdrehen und sah das breite, schmutzige Gesicht von Braint, der Bäuerin.
»Tut mir leid«, zischte
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