Imperator
sich?«
Severa war ungeduldig. »Prophezeiungen sind immer kryptisch.«
»Du kannst dir nicht nur die nützlichen Teile heraussuchen, Mutter! Fragst du dich nicht, was der eigentliche Zweck der Prophezeiung ist? Vorausgesetzt, was darin steht, ist wahr. Du willst sie benutzen, um Geld zu verdienen. Schön. Aber was hat Gott damit bezweckt, dass er sie uns geschickt hat?«
Severa zuckte nur die Achseln. »Spielt das eine Rolle?«
Brigonius war jedoch beeindruckt von Lepidinas Bemerkung. Manchmal erwies sie sich als erstaunlich
tiefgründig. Er fragte: »Severa – warum tust du das? Du führst doch ein angenehmes Leben in Rom. Weshalb hast du die weite Reise hierher nach Britannien auf dich genommen?«
Ihr Gesicht wurde hart. »Ein angenehmes Leben – vielleicht. Wir betrachten uns als Römerinnen. Lepidina ist in Rom geboren, so wie ich und meine Mutter vor mir. Drei Generationen. Aber für die echten Römer, das alte Blut, werden wir immer Barbaren sein. Sie blicken ja sogar auf den Kaiser herab, weil sein Vater aus Iberia stammt! Nur Geld durchbricht solche Barrieren, Geld – und zwar viel Geld – spült vertrocknetes altes Blut weg. Genügt dir das als Motiv?«
Die Menge geriet in Bewegung, als mit Togen bekleidete Männer im Gänsemarsch auf die Bühne kamen – Beamte des kaiserlichen Hofes, erklärte Severa. Sie zeigte auf ein paar von ihnen. »Diese beiden sind wichtig für unser Vorhaben. Der kleine, gedrungene Bursche da ist Platorius Nepos.«
»Der neue Statthalter.«
»Ja, und ein alter Freund des Kaisers. Unter seiner Herrschaft wird unser Wall gebaut, wenn überhaupt. Und der magere Bursche in der Toga heißt Primigenius.«
»Ein Sklavenname.« Der Erstgeborene. Aber Primigenius, drahtig, kahl, wachsam, sah für Brigonius nicht wie ein Sklave aus. Sein früher einmal vielleicht schönes Gesicht war immer noch wohlproportioniert, und der weiße Puder auf seinen Wangen ließ die Augen noch dunkler wirken.
»Er ist ein Freigelassener, aber er hat seinen Geburtsnamen behalten«, erklärte Severa leise. »Jetzt führt er den Haushalt des Kaisers – und wie es heißt, hat er ihm auch schon das Bett gewärmt. Durch Primigenius werden wir Zugang zu Nepos und zum Kaiser erhalten. Also, wenn er dich ansieht, vergiss nicht zu lächeln. Na, was meinst du, Brigonius? Arbeitest du mit mir zusammen? Soweit ich sehe, hast du nicht viel zu verlieren.« Ihr Blick wanderte zu Lepidina. »Und vielleicht viel zu gewinnen.«
Das kaum verhohlene Angebot erstaunte Brigonius. Konnte eine Mutter so kalt und berechnend sein, ihre Tochter auf diese Weise als Köder zu benutzen?
Aber Lepidina war von den Geschehnissen auf der Bühne abgelenkt. »Da ist er!«, quietschte sie aufgeregt.
Ein Mann kam mit großen Schritten auf die Bühne. Die Menge wogte laut schreiend nach vorn.
Er war hochgewachsen, kräftig, muskulös und trug eine glänzende, goldene Rüstung. Seine Haut wirkte gebräunt, und das lockige Haar und der Bart waren braun und von der Sonne gesträhnt. Brigonius schätzte ihn auf ungefähr vierzig Jahre. Der Mann ließ den Blick über die Anwesenden schweifen – und sein Blick blieb an Brigonius haften, der mit seiner Größe aus der Menge herausragte. Folglich sah sich Brigonius der komplexen Betrachtung durch einen Mann, einen Kaiser, einen Gott ausgesetzt – Hadrian.
»Er ist größer, als er auf den Münzen aussieht«, hauchte Lepidina.
IV
Severa arrangierte eine Audienz bei Hofe. Sie würden den neuen Statthalter, Platorius Nepos, und mit etwas Glück vielleicht sogar den Kaiser selbst treffen.
»Das hat mich einen Haufen Geld gekostet. Jeder Opportunist in der Provinz versucht, an Hadrian heranzukommen, wie du dir vorstellen kannst. Und es ist höllisch schwer, mit dieser manipulativen Schlange Primigenius zusammenzuarbeiten. Aber schließlich habe ich’s geschafft. Wenn alles klappt, liegen Jahre voller einträglicher Geschäfte vor uns – jede Menge Zeit für mich, meine Schulden zurückzuzahlen.«
»Wenn «, sagte Brigonius. »Du bist eine Spielerin, Severa! Und wenn Hadrian sich für Grassoden entscheidet, wie in Germanien?«
»So darfst du nicht denken, Brigonius. Du musst optimistisch sein – diese Gelegenheit ergreifen – und dich später mit den Folgen befassen.«
Jedenfalls würden sie erst an den Kaiser herankommen, wenn er die colonia von Camulodunum erreichte. Und wie Brigonius erfuhr, würde der kaiserliche Zirkus viele Tage für diese Strecke benötigen. Der
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