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Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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wahr?«, sagte Severa. »Deine Heimat kommt dir ganz
anders vor. Der Südosten Britanniens hat mehr mit Gallien oder Italien gemein als mit Britanniens Nordwesten.«
    Er versuchte, seine Gefühle in Worte zu fassen. »In seiner Heimat weiß man wenigstens, wer man ist. Dort sind die Dinge klar. Man ist Römer oder Brigant. Hier ist alles – durcheinander.« Trotzig sagte er: »Aber selbst hier ist der römische Einfluss gering.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch.
    »Schau dich um. Die Gehöfte waren vor der Straße hier. Das erkennt man daran, wie die Straße die Felder durchschneidet. Und die Bauern bearbeiten das Land, wie sie es immer getan haben, lange bevor die Römer kamen. Du siehst also, durch die Römer hat sich nicht viel geändert.«
    »Meinst du?«, sagte Severa verschmitzt. »Schau dir das an.«Sie zeigte auf ein Bauernhaus, einen von Gärten umgebenen Komplex weiß getünchter Gebäude mit Ziegeldächern inmitten ausgedehnter Felder: Er war imposant, fast schon prunkvoll. »Ein solches Haus könnte man in den Mittelmeerraum versetzen, ohne dass es dort fehl am Platz wirken würde. Und was ist damit?« An einem Flussufer im Osten, undeutlich sichtbar in der dunstigen Luft, drehte sich langsam ein riesiges Rad. »Das ist eine Getreidemühle«, sagte sie. »Sie nutzt die Kraft des fließenden Wassers, wo früher menschliche Muskeln oder Ochsen die Arbeit erledigt hätten. Man kann auch den Wind nutzen, wenn man geschickt genug ist. Die Bauern erschließen sogar neues Land auf Hügelkuppen und in Flusstälern, dessen
Bestellung ihnen zuvor nicht lohnend erschien. Auch die Bevölkerung wächst. Ich weiß das, weil die Römer solche Dinge messen.«
    Brigonius schnaubte. »Die Römer zählen uns, damit sie uns besteuern können. Wenn die Bauern mehr Weizen anbauen, dann nur, um die Nachfrage der Soldaten zu befriedigen, die uns herumstoßen. Und dann müssen sie Steuern auf ihren Verdienst bezahlen.«
    »Ja«, sagte Severa ein wenig ungeduldig, »aber darum geht es doch. Du musst das alles als ein riesiges Rad betrachten, Brigonius – wie das Wasserrad der Mühle dort drüben. Früher haben die Bauern ihre Feldfrüchte nur für den Eigenbedarf angebaut. Jetzt erzeugen sie einen Überschuss, den sie in die Städte bringen, um ihn dort zu verkaufen. Die Steuern, die sie auf ihre Gewinne entrichten, gehen in die Stadtentwicklung und den Sold der hungrigen Soldaten, die von den Überschüssen der Bauern ernährt werden müssen … und so geht es immer im Kreis herum, ein Rad, das von einem Geldstrom angetrieben wird. Und jeder zieht Nutzen daraus, jeder wird wohlhabend, und überall herrscht Frieden. Wahrscheinlich haben nie mehr Menschen in Britannien gelebt als heute. Was ist falsch daran?«
    »Aber was hat das alles für einen Sinn? Das Mühlrad mahlt das Getreide fürs Brot. Welchem Zweck dient dein Geldrad?«
    »Nun, es zermahlt Menschen. Es zerbröselt kleine Stämme wie deinen und backt ein Imperium aus den Fragmenten.«

    »Es macht alle gleich«, sagte Brigonius aufgebracht.
    »Ja! Und darin besteht seine Kraft.« Severa wühlte in ihrer Handtasche und brachte eine Münze mit Hadrians Kopf zum Vorschein. »Schau sie dir an, Brigonius. Du könntest auf Straßen wie dieser von Britannien bis nach Asien reisen, und überall könntest du in lateinischer Sprache dein tägliches Brot verlangen und es mit dieser Münze bezahlen. Eine einzige Sprache, eine einzige Währung auf einem ganzen Kontinent. Und Britannien gehört dazu! Sei nicht sentimental, Brigonius! Mach die Augen auf, dann siehst du die leuchtende Zukunft – empfange sie mit offenen Armen.«
    Während sie diesen kleinen Vortrag hielt, nahm sie seine Hand. Ihr Griff war stark, ihre Haut sonderbar kalt. Als er ihr in die hellen Augen schaute, sah er ihren Ehrgeiz, und er fragte sich unbehaglich, wie unsentimental sie bei der Verfolgung ihrer Ziele sein würde.
    Im hinteren Teil der Kutsche entschlüsselte Lepidina ein neues Wortspiel in Ovids Dichtung und lachte leise. Ihre Stimme klang so hell wie die eines Vogels.

V
    Im Gegensatz zu den meisten anderen britannischen Städten war Londinium nicht am Standort einer älteren Siedlung gegründet worden. Als Claudius an dieser Stelle vorbeigekommen sei, habe es hier nichts gegeben, erzählte Severa, nichts als die Lehmhütten einiger Fischersleute. Nun fuhren überall auf dem glänzenden Fluss Lastkähne und Seeschiffe zielstrebig dahin. Hafenanlagen breiteten sich sowohl am nördlichen als auch am

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