Imperium
Michelangelo erlebt haben, müssen die Ausstellungen in der Galerie eine ziemliche Enttäuschung für Sie gewesen sein«, meinte Townsend.
»Der Schrott, der da als Kunst präsentiert wird, hätte mir nicht mal viel ausgemacht. Aber ich bin jetzt seit fast zwei Jahren stellvertretende Direktorin und durfte nicht eine einzige Ausstellung selbst ausrichten. Wenn Lloyd mir nur die Chance gäbe, würde ich etwas auf die Beine stellen, auf das die Stiftung wirklich stolz sein könnte – und das zu einem Zehntel der Kosten, die Lloyd für seinen Müll ausgibt.« Wieder trank sie einen Schluck Weinbrand.
»Wenn Ihnen das alles so zu schaffen macht, wundert es mich, daß Sie bleiben«, sagte Townsend.
»Nicht mehr lange«, entgegnete sie. »Wenn ich Armstrong nicht dazu bewegen kann, die künstlerische Linie der Galerie zu ändern, werf ich die Klamotten hin. Aber so, wie Lloyd seinen neuen Gönner offenbar an der Nase herumführt,
bezweifle ich sehr, daß ich bei der nächsten Ausstellung noch dasein werde.« Sie machte eine kurze Pause und nahm einen weiteren Schluck. »Das habe ich noch nicht einmal meiner Mutter gesagt«, gestand sie. »Aber manchmal fällt es einem leichter, sich Fremden anzuvertrauen.« Wieder trank sie einen 592
Schluck. »Sie haben beruflich nicht zufällig mit Kunst und Künstlern zu tun, oder?«
»Nein. Wie ich schon sagte, ich bin im Transport- und Kohlengeschäft.«
»Und was machen Sie da tatsächlich? Fahren oder
abbauen?« Sie starrte ihn über den Tisch an, leerte ihr Glas und versuchte es noch einmal. »Was ich meine, ist…«
»Ja?« fragte Townsend.
»Nun, ich meine – was transportieren Sie und wohin?« Sie griff nach ihrem Glas und hielt einen Moment inne; dann glitt sie langsam vom Stuhl auf den Teppich und murmelte etwas über fossile Brennstoffe im Rom der Renaissance. Innerhalb von Sekunden lag sie zusammengerollt auf dem Boden und schnurrte wie eine zufriedene Katze. Townsend hob sie behutsam auf und trug sie ins Schlafzimmer. Er schlug das Oberbett zurück, legte sie auf das Bett und zog die Decke über die schmächtige Gestalt. Er konnte seine Bewunderung nicht verhehlen, daß sie bei diesem Alkoholkonsum so lange durch-gehalten hatte. Sie wog bestimmt nicht einmal fünfzig Kilo.
Keith kehrte in den Wohnraum seiner Suite zurück, schloß die Schlafzimmertür leise hinter sich und suchte nach der Akte, in der die Statuten des New York Star niedergelegt waren. Als er sie ganz unten in seinem Aktenkoffer gefunden hatte, setzte er sich damit auf die Couch und las bedächtig die Gesellschaftssatzung. Er war bereits auf Seite siebenundvierzig, ehe er einschlief.
Armstrong fiel keine gute Ausrede ein, als Summers vorschlug, nach der Ausstellung gemeinsam zu Abend zu essen.
Erleichtert stellte er fest, daß sein Anwalt noch nicht nach Hause gegangen war. »Russell, Sie kommen doch mit zum Dinner?« donnerte er, und es hörte sich mehr wie ein Befehl denn eine Einladung an.
Privat hatte Armstrong sich Russell gegenüber bereits sehr 593
abfällig über die Ausstellung geäußert, und es war ihm nur mit Mühe gelungen, diese Meinung vor Summers zu verhehlen.
Von dem Augenblick an, da Summers ihm mitgeteilt hatte, er habe das perfekte Gebäude für die Stiftung gefunden, hatte Armstrong versucht, eine Begegnung zu vermeiden. Doch Summers wurde ungeduldig und ließ ihm über seine Anwälte den folgenschweren Satz mitteilen: »Vergessen Sie nicht, ich habe immer noch eine Alternative.«
Armstrong mußte zugeben, daß das von Summers
ausgewählte Restaurant an Exklusivität bestimmt nicht leicht zu übertreffen war, doch im Laufe des vergangenen Monats hatte Dick sich an den extravaganten Geschmack des Mannes gewöhnt. Nach dem Hauptgang betonte Summers, wie wichtig es sei, den Mietvertrag für das neue Gebäude so schnell wie möglich zu unterzeichnen, wenn die Stiftung nicht auf der Straße stehen wollte. »Ich habe gleich am ersten Tag
klargemacht, Dick, daß ich Ihnen diese Anteile nur überlasse, wenn Sie für die Stiftung eine neue Galerie einrichten.«
»Das ist nach wie vor meine Absicht«, versicherte ihm Armstrong.
»Und noch vor der Jahreshauptversammlung.« Die beiden Männer blickten einander über den Tisch hinweg an. »Ich schlage vor, Sie setzen den Vertrag sofort auf, damit er am Montag unterschrieben werden kann.« Summers griff nach einem Kognakschwenker und leerte ihn. »Denn ich kenne jemand anders, der nur zu gern unterschreiben würde, wenn Sie es
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