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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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relativ einfach, bei dieser Wählerschaft auf Stimmenfang zu gehen. Jeder Bezirk hatte innerhalb Roms ein eigenes Hauptquartier, ein Gebäude, das groß genug war, um darin eine Veranstaltung oder ein Abendessen zu organisieren. Ich durchforstete unsere Unterlagen und erstellte eine nach den jeweiligen Bezirken gegliederte Liste mit allen Männern, die Cicero in den letzten sechs Jahren vor Gericht verteidigt oder denen er sonst wie unter die Arme gegriffen hatte. Mit diesen Männern nahmen wir Kontakt auf und baten sie, dafür zu sorgen, dass man den Senator einlud, bei anstehenden Bezirksveranstaltungen eine Rede zu halten. Es ist erstaunlich, wie viele Gefälligkeiten man nach sechs Jahren unermüdlicher Anwalts- und Beratertätigkeit einfordern kann. Ciceros Wahlkampfkalender war bald mit Terminen überfüllt, und sein ohnehin langer Arbeitstag wurde noch länger. Nach getaner Arbeit bei Gericht oder im Senat eilte er nach Hause, nahm ein schnelles Bad, zog sich um und machte sich wieder davon, um eine seiner mitreißenden Reden zu halten. Ciceros Wahlspruch lautete: »Gerechtigkeit und Reformen«.
    Quintus fungierte wie üblich als Ciceros Wahlkampfleiter, und Lucius wurde mit der Aufgabe betraut, die Klage gegen Verres zu koordinieren. Der Statthalter wurde Ende des Jahres aus Sizilien zurückerwartet, worauf er - im Augenblick, da er städtischen Boden betrat - sein imperium und damit auch seine Immunität vor Strafverfolgung verlieren würde. Cicero war entschlossen, bei erster Gelegenheit zuzuschlagen und ihm möglichst keine Zeit zu lassen, Beweismittel zu beseitigen oder Zeugen einzuschüchtern. Um keinerlei Verdacht aufkommen zu lassen, besuchten die Sizilier ihn nicht mehr in seinem Haus, sondern trafen sich heimlich an wechselnden Orten in der Stadt mit Lucius, der ab sofort als Kontaktmann zwischen Cicero und den Siziliern agierte. Das war die Zeit, in der ich Lucius besser kennenlernte, und je öfter wir uns trafen, desto mehr mochte ich ihn. In vielerlei Hinsicht war er Cicero sehr ähnlich. Er war fast genauso alt, er war intelligent und geistreich und ein begnadeter Philosoph. In Arpinum waren sie zusammen aufgewachsen, hatten in Rom gemeinsam ihre Ausbildung durchlaufen und waren zusammen in den Osten gereist. Doch in einem Punkt unterschieden sie sich beträchtlich: Lucius hatte keinerlei weltliche Ambitionen. Er lebte allein, in einem kleinen, mit Büchern vollgestopften Haus und tat den ganzen Tag nichts anderes als lesen und denken - eine für einen Mann höchst gefährliche Beschäftigung, denn sie führt nach meiner Erfahrung unweigerlich zu Verdauungsstörungen und Schwermut. Merkwürdigerweise fand er, trotz seiner Neigung zum Einzelgängertum, schnell Gefallen daran, sein Arbeitszimmer jeden Tag zu verlassen. Er steigerte sich in eine so große Wut auf Verres ' Niedertracht, dass sein Eifer, ihn vor Gericht zu bringen, den von Cicero sogar noch übertraf. »Am Ende machen wir doch noch einen Anwalt aus dir«, sagte Cicero voller Bewunderung, als Lucius wieder einmal eine ganze Serie von beeidigten Erklärungen mit erdrückender Beweiskraft besorgt hatte.
    Gegen Ende Dezember ereignete sich etwas, das auf dramatische Weise all die verschiedenen Stränge in Ciceros Leben zu einem einzigen zusammenfuhren sollte. Als ich eines noch dunklen Morgens die Tür öffnete, stand an der Spitze der Warteschlange der Mann, den wir erst kürzlich in der Basilika der Volkstribunen als Verteidiger der Säule seines Urgroßvaters erlebt hatten - Marcus Porcius Cato. Er war allein gekommen, ohne einen dienstbaren Sklaven, und er sah aus, als hätte er die Nacht auf der Straße verbracht. (Wenn ich jetzt darüber nachdenke, vielleicht hatte er wirklich draußen geschlafen. Allerdings sah Cato immer ziemlich abgerissen aus, wie ein Wanderprediger oder ein Mystiker, sodass man sich wirklich nicht sicher sein konnte.) Natürlich war Cicero neugierig, warum ein Mann von derart vornehmer Abstammung an seine Tür klopfte. Immerhin gehörte Cato, so bizarr er auch war, zum Kern der alten republikanischen Aristokratie, war durch Blut und Heirat eng verwoben mit den Servilii, Lepidi und Aemilii. Tatsächlich war Cicero so erfreut über seinen hochgeborenen Besucher, dass er höchstpersönlich ins Tablinum hinausging, um ihn zu begrüßen und ins Arbeitszimmer zu bitten. Er hatte schon lange davon geträumt, dass eines Morgens einmal ein Klient diesen Ranges in seinem Netz zappelte.
    Ich setzte mich in eine Ecke, um

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