Implantiert
Sache ist erledigt. Alle Schwierigkeiten beseitigt.«
Clayton kratzte sich über seine Bartstoppeln. Es hörte sich an, als rieb er über Schmirgelpapier. »Ich werde Sven Bescheid sagen, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir euch von der Insel schaffen müssen. Ich denke, ich kann dafür sorgen, dass ein, zwei Tage lang niemand etwas von den Kühen oder der Notlandung mitbekommt. Vielleicht sogar so lange, bis mein Sohn mit seinem Boot hier ist, um euch aufs Festland zu bringen. Ich werde mit Colding sprechen. Hoffentlich kann er Magnus irgendwie ablenken.«
Als sie Coldings Namen hörte, wurde Sara sich schmerzlich ihrer Einsamkeit bewusst, doch gleichzeitig erwachte ihr Misstrauen. »Nein. Wir können Colding nicht informieren.«
Clayton blinzelte ein paarmal. Dann legte er eine Hand auf Saras Schulter. »Sind Sie sicher, dass Sie ihm nichts sagen wollen? Er macht sich schreckliche Sorgen um Sie.«
Sara wollte, dass Colding Bescheid wusste; sie hätte ihn am liebsten noch in dieser Sekunde bei sich gehabt, aber das wäre alles andere als klug gewesen. »P. J. wollte, dass wir in ein Flugzeug steigen, in dem eine Bombe versteckt war. Und er selbst ist am Boden geblieben.«
Tim öffnete den Mund, um etwas zu sagen, hielt dann aber inne und nahm einen weiteren Biss von seinem Hühnerbein. Tief in ihrem Inneren wusste Sara, dass Colding alles für sie tun würde, doch die Tatsachen und ihre Gefühle schienen einfach nicht zusammenzupassen … und drei tote Freunde waren eine verdammt ernstzunehmende Tatsache.
Eine Windbö ließ das Schlafzimmerfenster erzittern. Draußen flogen einige bauschige Schneeflocken vorbei.
Clayton erhob sich. »Wenn Sie das so wollen, soll’s mir recht sein. Heute Nacht werden wir einen weiteren Sturm
bekommen. Er dürfte ziemlich heftig werden. Ich weiß nicht, ob Gary bei diesem Wetter zur Insel rausfahren kann. Ihr beide bleibt heute Nacht besser hier und ruht euch aus. Morgen werde ich euch in der alten Stadt verstecken, eh? Doch jetzt muss ich erst mal die Telefonleitungen in Ordnung bringen, damit Sven mich anrufen kann, wenn er mich braucht. Nehmt euch ein paar trockene Kleider aus dem Schrank und holt euch aus dem Kühlschrank, was ihr wollt. Aber seid leise. Wenn irgendjemand anklopft, dann antwortet einfach nicht.«
Er tätschelte Sara auf die Schulter und verließ das Schlafzimmer. Sie schob die Decken zurück und setzte sich auf. Tim tat so, als sehe er nicht zu ihr hin, als er Claytons Schrank durchsuchte. Er warf ihr ein Flanellhemd und eine Jeans zu, die sie rasch anzog.
»Sara«, sagte Tim. »Ist das die, für die ich sie halte?« Er starrte ein gerahmtes Foto an, das auf Claytons Kommode stand.
Sara stand auf und sah hin. »Ich will verdammt sein.«
Die Aufnahme zeigte Marilyn Monroe und einen deutlich jüngeren Clayton Detweiler, die in einen leidenschaftlichen Kuss versunken waren.
1. Dezember, 12:45 Uhr
Clayton betrat den Überwachungsraum und fand dort Colding vor, der am Tisch saß und unablässig zwischen den einzelnen Überwachungskameras hin und her schaltete wie jemand, der sich durch verschiedene Fernsehkanäle zappt, wenn es nichts Vernünftiges zu sehen gibt.
»Hey, Clayton«, sagte Colding. »Kommen Sie mich auf ein oder zwei Fürze besuchen?«
»Kein Gas heute. Und ich bin auch nicht wegen Ihnen gekommen. Der Sturm hat die Telefonleitungen beschädigt. Der Computer kann mir zeigen, wo die Schäden sind.«
Colding stand auf und trat vom Tisch weg. »Bedienen Sie sich.« Er ging zum Waffenständer, nahm sich eine Beretta, setzte sich auf die Tischkante und fing an, die Pistole auseinanderzunehmen.
Clayton setzte sich und rief mit der Maus das Überwachungsprogramm für die Telefonleitungen auf. Der Balken, der den Fortschritt beim Hochladen anzeigte, begann zu wachsen. Clayton war mit Colding allein. Im Überwachungsraum befanden sich keine Kameras – jedenfalls so weit Clayton wusste. Und selbst wenn es welche gab: Wohin wären diese Aufnahmen gesendet worden? Die ganze Big-Brother-Überwachung ging von diesem Raum aus. Ironischerweise war der Überwachungsraum im ganzen Landhaus der einzig sichere Ort, an dem man unbeobachtet sprechen konnte.
Vielleicht gelang es ihm, Colding ein wenig auf den Zahn zu fühlen, um herauszufinden, ob er dem jüngeren Mann trauen konnte. »Noch keine Nachrichten von Sara?«
Colding verzog kurz den Mund, als wolle er ein Knurren ausstoßen, doch sein Gesichtsausdruck änderte sich sofort wieder.
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