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Implantiert

Implantiert

Titel: Implantiert Kostenlos Bücher Online Lesen
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weiteren Farben. Die besondere Sprache. Die wahre Sprache des Lebens. Eine Sprache, die – aus irgendeinem Grund – einzig und allein sie wirklich sehen, wirklich verstehen konnte.
    Biologische Poesie.
    »Jian?«
    Sie blinzelte. Die Dichtung verwandelte sich wieder in vorbeiziehende Buchstaben. Sie war im Bioinformatik-Labor. Sie hob den Kopf und sah, dass Tim vor ihrem Schreibtisch stand.
    »Mister Feely«, sagte sie, und als sie das tat, wurde ihr klar, dass er schon mehrere Sekunden vor ihr gestanden und immer wieder leise ihren Namen gesagt hatte. Geistig wahrgenommen hatte sie ihn wohl schon, doch sie hatte jenen besonderen Ort nicht verlassen wollen, an dem sie sich aufgehalten hatte.

    »Sie sind meine Chefin«, sagte er. »Glauben Sie, dass Sie es irgendwann einmal schaffen werden, mich nicht mehr Mister zu nennen?«
    Sie schüttelte den Kopf. Nein, das würde sie nicht können. Manchmal versuchte sie, P. J., Tim oder Claus zu sagen, doch über ihre Lippen kam immer nur Mister Colding, Mister Feely oder Doktor Rhumkorrf.
    Ihr aus sieben Monitoren bestehender Computeraufbau entsprach genau dem in ihrem Zimmer. Tim hielt eine Flasche und einen kleinen Medizinbecher hoch. Dann streckte er die Arme um die äußeren Monitore herum, um ihr beides zu reichen. »Haben Sie nicht etwas vergessen?«
    Ihre Medikamente.
    Sie warf einen Blick auf die Flasche und dann auf ihre Armbanduhr. Sie hätte ihre Medizin schon vor zwei Stunden nehmen sollen. »Oh, es tut mir leid.« Sie griff nach der Flasche und dem kleinen Plastikbecher.
    Er kam um den Tisch herum und trat neben ihren Stuhl. »Und warum sind Sie überhaupt noch auf? Sie sollten längst schlafen. Wie wär’s, wenn Sie ins Bett gingen?«
    Sie schüttelte den Kopf, stellte die Flasche mit ihrer Medizin ab und beugte sich zu dem kleinen Kühlschrank unter ihrem Tisch hinab.
    »Nicht nötig«, sagte Tim. Er zog eine Dose Dr. Pepper aus der Tasche seines Laborkittels. Sie roch den Alkohol in seinem Atem.
    »Mister Feely, haben Sie etwa getrunken?«
    »Nur ein, zwei Schluck«, antwortete er. »Und da wir gerade beim Schlucken sind: Das hier sind Ihre Medikamente, und diese Dose gibt’s gleich hinterher. Also trinken Sie!«
    Tim brachte sie zum Lachen. Er war ein guter Assistent, wenn auch nicht so gut, wie Galina gewesen war. Doch
während Galina den größten Teil ihrer Zeit mit Erika verbracht hatte, sorgte Tim dafür, dass Jian ihre Medizin nahm, dass sie schlief und sogar aß. Manchmal vergaß Jian tatsächlich alle Mahlzeiten, wenn der Code ihr Denken vollkommen ausfüllte und die Minuten zu Stunden und zu Tagen wurden.
    Jian goss das Lithiumcitrat in den kleinen Medizinbecher, den sie bis zur Fünf-Millimeter-Linie füllte. Sie trank die Medizin und spülte sofort mit der ganzen Dose Dr. Pepper nach. Die Kohlensäure prickelte in ihrem Mund und vertrieb den unangenehmen Geschmack des Lithiums. Doch dieser schlechte Geschmack stand in keinem Verhältnis zu dem, was sie gewann, denn das Medikament machte sie normal. Es sorgte dafür, dass sie funktionierte, ohne … sie zu sehen. Das Medikament sorgte dafür, dass sie arbeiten konnte.
    Wieder beugte sie sich zum Kühlschrank hinab, doch Tim zog eine weitere Dose aus der anderen Tasche seines Kittels.
    »Nicht nötig«, sagte er.
    Jian errötete ein wenig. Tim und P. J. kümmerten sich so gut um sie. Dadurch wurde es fast erträglich, hier zu sein – trotz Rhumkorrfs Druck und den gemeinen Kommentaren dieser bösartigen Zicke namens Erika.
    »Jian, ich bitte Sie«, sagte Tim. »Der Immuntest war doch auch zuvor schon öfter ein Misserfolg. Legen Sie mal eine Pause ein. Morgen früh setzen wir uns gleich wieder dran.«
    »Nein, wir müssen arbeiten. Haben Sie irgendetwas erreicht?«
    »Ja«, sagte Tim. »Einen neuen Rekord, was die Punkte bei Tetris angeht.«
    »Sie müssen sehr stolz sein.«
    »Eigentlich nicht. Ich habe das Spiel so umprogrammiert, dass ich gewinnen konnte. Vielleicht sollten Sie versuchen,
ein wenig Videoschach zu spielen. Dafür sorgen, dass Ihr Kopf ein bisschen auf andere Gedanken kommt.«
    Sie zuckte mit den Schultern. Sie würde einen erwachsenen Mann nicht über den Wert harter Arbeit belehren.
    »Ich bitte Sie, Jian, gehen Sie schlafen.«
    »Das werde ich«, sagte sie. »Ich will nur noch die Sequenzierung der vier neuen Proben zu Ende bringen. Dann werde ich mich hinlegen.«
    »Versprochen?«
    Sie nickte.
    »In Ordnung«, sagte Tim. »Dann lasse ich Sie jetzt allein. Ich bin völlig

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