Implantiert
Erikas Stirn. Sie kniff die Augen noch heftiger zusammen.
Colding hob seine eigene Pistole.
Andy bemerkte die Bewegung. Als er sich umdrehte, starrte er direkt in den Lauf.
»Andy, lass deine Waffe fallen.«
Andy öffnete seinen Mund, schloss ihn aber sogleich wieder. »Verdammt nochmal, was soll das?«
»Ich habe gesagt, lass deine Waffe fallen. Heute stirbt niemand mehr.«
Zum zweiten Mal in ebenso vielen Minuten hatte Colding gehandelt, ohne nachzudenken und sich vom rasenden Tempo der Ereignisse mitreißen lassen. Nie zuvor im Leben hatte er eine Schusswaffe direkt auf einen anderen Menschen gerichtet, und jetzt hatte er einen Toten vor dem Gebäude, eine verletzte Frau auf dem Boden sowie einen Hubschrauber im Anflug – und er hielt seine Pistole einem Killer der Special Forces vor die Nase. Wenn Andy die Nerven verlor, wenn er verrückt spielte und versuchte, seine eigene Waffe
in Anschlag zu bringen, blieben Colding nur Sekundenbruchteile, um abzudrücken, sonst würde er wahrscheinlich selbst umgebracht werden.
Andy erhob sich in einer langsamen Bewegung und richtete gleichzeitig die Waffe hoch zur Decke. »Okay, okay, Chief. Ich gehe.«
Colding hatte mit seiner Waffe Andys Bewegung nachvollzogen, so dass sie nach wie vor auf das Gesicht des Mannes gerichtet war. »Ich habe gesagt, dass du die Waffe fallen lassen sollst. Bring Jian raus.«
»Aber wir bekommen Besuch. Willst du, dass ich unbewaffnet rausgehe?«
Für Andy war das nur eine rhetorische Frage, doch tatsächlich war genau das Coldings Absicht.
»Andy, lass deine verdammte Waffe fallen und geh zum Vordereingang raus … sofort.«
Langsam ging Andy in die Hocke und legte seine Pistole auf den Boden. »Du wirst diese Scheiße noch bereuen. Warte bis Magnus davon hört.« Er packte Jian am Ellbogen und führte sie zur Tür. Sie drückte den Petabyte-Speicher an ihre Brust, als handle es sich dabei um ihr einziges Kind.
Colding seufzte, als sie das Labor verlassen hatten. Es konnte nichts Gutes dabei herauskommen, wenn man sich Andy Crosthwaite zum Feind machte. Aber hier würde niemand mehr sterben, so einfach war das. Er hob Andys Waffe auf, sicherte sie und schob sie sich in den Hosenbund.
Dann kniete er sich neben Erika. »Doktor Hoel, es tut mir leid, dass ich Ihnen das antun musste.«
So große Schmerzen. Sie vermutete, dass es sich nur um ein paar gebrochene Rippen handelte, doch sie hatte sich zuvor noch nie etwas gebrochen. Quälender Schmerz überflutete
sie. Es war, als ramme jemand große Stöcke in die rechte Seite ihres Oberkörpers. Oder vielleicht Haken. Widerhaken aus Glas.
»Doktor Hoel«, fragte Colding, »hören Sie mich?«
Sie konnte sich überhaupt nicht mehr bewegen. Schon die kleinste Veränderung ihrer Haltung erfüllte ihre Brust mit einem so rasenden Schmerz, dass sie fast ohnmächtig wurde. Doch so sehr der Schmerz in ihrem Körper auch nach Beachtung schrie, war er doch nicht stark genug, das furchtbare Gefühl zu verdrängen, dass sie einen Menschen umgebracht hatte.
Sprechen tat weh, doch sie zwang die Worte über ihre Lippen: »Ist Brady wirklich … tot?«
Colding sah weg und dann wieder hin. Er nickte. »Wenn Andy so wütend war, hatte es einen Grund. Brady ist tot.«
Was zum Teufel hatte sie sich nur dabei gedacht? Sie war eine Frau mittleren Alters, kein Mitglied einer Kommandoeinheit. War die Rache an Claus all das wirklich wert? Natürlich war es nicht Bradys Leben wert. Brady war ein netter Junge gewesen, freundlich, respektvoll. Vielleicht achtundzwanzig? Neunundzwanzig? Sie konnte sich nicht daran erinnern, und jetzt spielte es keine Rolle mehr, weil er niemals dreißig werden würde.
»Mein Gott … Colding, ich schwöre … das wollte ich nicht.«
Colding nickte. Er weidete sich nicht an ihrem Unglück, und er war nicht wütend. Er sah traurig aus, wie jemand, der gerade Zeuge einer Katastrophe geworden war, aber sie nicht als real akzeptieren wollte.
»Hören Sie zu, Doktor Hoel. Ich muss dafür sorgen, dass alle anderen hier am Leben bleiben. Sagen Sie mir, wer da im Anflug ist.«
Sie wollte mit den Schultern zucken, doch die Bewegung tat noch mehr weh als zu reden. »Ich weiß es nicht … Fischer … wird bald hier sein.«
Wieder nickte Colding, als hätte sie nur seine Vermutungen bestätigt. »Warum kommt Fischer gerade jetzt? Wir sind doch schon seit zwei Jahren hier?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich wollte nichts weiter, als … als Claus ruinieren. Das
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