Implantiert
dir keinen Zwang an und lass es raus.«
Er sah sich in der kleinen Stadt um. Sie waren wirklich mitten im Nirgendwo. Bis zum Landhaus bräuchte man zu Fuß mindestens dreißig Minuten.
Scheiß drauf. Warum nicht?
»Ich war in der Army. Ich habe für das USAMRIID gearbeitet. Unsere Abteilung hatte die Aufgabe, medizinisches Personal und andere Zivilangestellte vor biologischen Bedrohungen zu schützen. Dort habe ich auch meine Frau kennengelernt. Clarissa. Sie war Virologin. Wir waren zwei Jahre verheiratet und dann … gab es einen Zwischenfall. Hast du schon mal von H5N1 gehört?«
Sara schüttelte den Kopf.
»Die Vogelgrippe. Eine Terrorzelle versuchte, das Virus in Amerika auf ganz traditionelle Weise zu verbreiten, indem sie ihre eigenen Leute infizierten und ins Land schleusten.
Die CIA ließ die Zelle auffliegen. Das USAMRIID wurde verständigt, um festzustellen, ob den Infizierten geholfen werden konnte. Um die ganze Sache abzukürzen – die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen wurden nicht eingehalten. Der verantwortliche Offizier, Colonel Paul Fischer, beschloss, die Infizierten als Menschen zu behandeln und nicht als die terroristischen Tiere, die sie in Wirklichkeit waren. Einer von ihnen … einer von ihnen konnte sich befreien. Er riss meiner Frau die Schutzmaske herunter und … hustete sie an und spuckte ihr ins Gesicht.«
Saras Augen weiteten sich vor Schreck. Wahrscheinlich stellte sie sich gerade Clarissas Situation vor. Oder sie versuchte es, denn wer konnte wirklich wissen, wie es sich anfühlte, wenn einem jemand den Atem des Todes ins Gesicht blies?
Colding fuhr fort. Jetzt konnte er sich nicht mehr zurückhalten. »Sie haben Clarissa auf die Intensivstation gebracht. Sie bekam eine Lungenentzündung, die sie überstand, doch die Vogelgrippe bewirkte eine virale Myocarditis.«
»Was ist das?«
»Eine Virusinfektion des Herzens. Bei ihr entwickelte sich die Krankheit besonders schnell. Durch die Schädigung des Muskelgewebes wurde ihr Herz geschwächt. Es schwoll an. Im Wesentlichen wurde es dadurch zerstört.«
Bestürzt legte Sara die Hand an den Mund. Sie trat oft so jungenhaft auf, doch diese Geste des Mitleids für eine tote Frau, der sie nie begegnet war, verlieh ihr etwas ganz besonders Feminines. »War es nicht möglich, ihr ein neues Herz einzupflanzen?«
»Das Virus steckte noch immer in ihrem Körper. Die Ärzte konnten unmöglich voraussehen, ob das neue Herz nicht ebenso infiziert würde. Sie … sie konnten es sich nicht erlauben,
ein Organ an jemanden zu verschwenden, bei dem ein so großes Risiko bestand.«
»Weil ein so großer Mangel an Organen besteht«, sagte Sara und deutete ein Nicken an. Traurigkeit erfüllte ihre Augen.
»Sie wurde an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Ein paar Tage später sagte man mir … nun, man sagte mir, dass es keine Hoffnung auf Besserung mehr gäbe. Sie hatte so große Schmerzen und war so schwach. Sie fiel ins Koma, bevor wir gemeinsam eine Entscheidung treffen konnten. Also musste ich alleine für sie entscheiden. Ich wusste, dass sie nicht länger hätte leiden wollen und dass alles ohnehin nur noch eine Frage der Zeit war.«
Er musste einen Augenblick innehalten. Die ganzen Jahre über hatte er noch nie mit irgendjemandem darüber gesprochen. Es jetzt zu tun, weckte so lebhafte Erinnerungen, fast als geschehe alles von neuem. Clarissas Hände waren so schwach gewesen, dass sie nicht mehr in der Lage gewesen war, die seinen zu halten. Also hatte er alleine ihre Hände gehalten. Bevor sie an das Beatmungsgerät angeschlossen worden war, hatte er ihr gesagt, dass alles in Ordnung kommen würde. Sie hatte ihm mit schwacher Stimme geantwortet, dass er wie ein Idiot daherrede. Sie wusste, was sich in ihrem Körper abspielte. Wahrscheinlich sogar besser als jeder andere, denn sie starb an einer Krankheit, die sie mehr als ein Jahrzehnt lang erforscht hatte.
Sara hob die Hand und berührte seinen Oberarm. »Du hast es für sie beendet? Du hast ihr die Schmerzen genommen?«
Er nickte. Er konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ihre noch geschlossenen Augen – Augen, die sich nie wieder öffnen würden. Die Krankenschwester, die die Schläuche
aus ihrem Körper zieht und den Beatmungstubus entfernt. Ihre schwachen, flachen Atemstöße. Die Schwester, die das Zimmer verlässt, die Tür schließt und sie beide auf ihrem letzten gemeinsamen Weg allein lässt. Bis dass der Tod euch scheidet.
Auf seinem Arm Saras Hand, die ihn sanft
Weitere Kostenlose Bücher