In aller Unschuld Thriller
goldenen Lichtkranz umgeben, und sie hatte die Arme ausgebreitet, sah genauso aus wie die Jungfrau Maria, die seine Mutter auf ihrer Kommode stehen hatte. Es war ein wunderschöner Traum.
Dahl blickte zu den Sternen am klaren Himmel hinauf – soweit man die Sterne mitten in der Stadt sehen konnte – und dachte, dass dies die schönste Nacht seines Lebens werden könnte.
Nach einer Weile erhob er sich, strich sich den Rock glatt und ging zurück zu Christine Neals Volvo auf dem Parkplatz.
Stan Dempsey fuhr durch Carey Moores Viertel, aber nicht an ihrem Haus vorbei. Er wusste, dass die Polizisten in dem Streifenwagen vor ihrer Tür das Kennzeichen jedes vorbeifahrenden Wagens aufschreiben und sofort überprüfen würden, um einem möglichen Verdächtigen auf die Spur zu kommen.
Deshalb fuhr er eine Querstraße vor dem Haus der Moores in die Einfahrt eines unbeleuchteten Hauses und wartete dort.
Eine dunkle Limousine stieß rückwärts aus der Garage und raste an ihm vorbei. Sekunden später folgte ihr ein Zivilfahrzeug der Polizei. Kurz danach ein zweites. Als es eine Straßenlaterne passierte, glaubte Stan, hinter dem Lenkrad Sam Kovac zu erkennen.
Kovac war ein guter Cop, ein sicherer Schütze, vielleicht der beste Detective im ganzen Dezernat. Es wäre schwierig gewesen, direkt vor Kovacs Nase in Aktion zu treten. Aber er hatte sich von Carey Moores Haus entfernt, hatte ihr Viertel verlassen, und Stan sah seine Chance gekommen.
Es ging ihm nicht darum, ungestraft zu bleiben. Er wollte einfach nur seinen Job zu Ende bringen. Sobald seine Arbeit getan war, würde er es als Ehre betrachten, wenn Sam Kovac den Fall zu einem Abschluss brächte.
Sobald seine Arbeit getan war …
35
Carey saß lange auf dem kleinen Sofa im Arbeitszimmer und starrte, ohne etwas zu tun, ohne zu denken ins Leere. Im Haus war es völlig still. Von der gespannten Atmosphäre war nichts mehr zu merken. Sie fühlte sich ausgelaugt, erschöpft.
Gegen halb elf kam Anka leise die Treppe herunter und blieb vor der Tür stehen.
»Alles in Ordnung, Mrs. Moore?«
Carey machte eine resignierte Handbewegung. »Nein, aber das lässt sich nicht ändern. Gehen Sie noch aus?«
»Ich will mir nur ein Video ausleihen und Popcorn besorgen. Soll ich Ihnen irgendetwas mitbringen?«
»Nein. Danke, Anka.«
Das Mädchen blieb noch einen Augenblick zögernd in der Tür stehen, als wollte sie etwas sagen. Doch falls es so war, überlegte sie es sich schließlich anders.
Carey starrte wieder ins Leere, sie fühlte sich innerlich vollkommen taub. Sie fragte sich, was sie am nächsten Tag empfinden würde und am übernächsten. Erleichterung? Angst? Und sie fragte sich, wie Lucy auf die plötzliche Abwesenheit ihres Vaters reagieren würde.
Wenn er mit Lucy zusammen war, war David ein anderer Mensch. Im Umgang mit ihrer Tochter erkannte sie in ihm wieder den Mann, den sie geheiratet hatte – liebevoll, witzig, ein Mann zum Pferdestehlen. Seine Beziehung zu Lucy gründete auf reiner Liebe, ungetrübt durch das, was sonst aus seinem Leben geworden war. Lucy wusste nichts von irgendwelchen Fehlschlägen. Für sie war er einfach nur ihr Daddy. Ihre Erwartungen waren leicht zu erfüllen. Noch hatte er sie nicht enttäuscht.
Carey verbot sich, darüber nachzudenken, was David empfinden oder tun mochte. Sie redete sich ein, dass es ihr egal war. Völlig egal. Was sagte das über sie aus? Über ihre Ehe?
Ruhelos erhob sie sich und lief auf und ab. Sie hatte immer noch am ganzen Körper Schmerzen, und in ihrem Kopf pochte es. Am besten nahm sie eine Schlaftablette und ging ins Bett.
Als sie an Davids Schreibtisch vorbeikam, fiel ihr Blick auf Fotos von Lucy. Davids Bildschirmschoner war eine Diashow, die ihre Tochter in ihren verschiedenen Kostümen zeigte – die Prinzessin, die Fee, die Ballerina.
Carey ließ sich auf dem Schreibtischstuhl nieder und betrachtete die Bilder, die über den Bildschirm glitten. Lucy sah genauso aus wie sie als Kind – ein verschmitztes Lächeln, strahlend blaue Augen, eine nicht zu bändigende Mähne dunkler Haare, noch voller Locken.
Wieder so unschuldig sein.
Neben der Tastatur lag auf einem kleinen grünen Pad die Computermaus. Ohne genau zu wissen, was sie tat, griff sie danach und klickte das AOL-Icon am unteren Rand des Bildschirms an.
Was daraufhin auf dem Bildschirm erschien, war so fern aller Unschuld, wie man sich nur vorstellen konnte.
Was auf dem Bildschirm erschien, war so entwürdigend, dass Carey übel
Weitere Kostenlose Bücher