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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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rissig und platzten plötzlich auf. Die roten Furchen frästen sich durch beide Wangen, erreichten die Ohren, ein teuflischer Mund gierte nach verbotenen Früchten. Blutstropfen bildeten sich, die zähe Flüssigkeit rann über das Kinn, eine infernalische Parodie der Clownsmaske.
    Ein weißer Blitz verscheuchte das Bild. Brolin keuchte.
    Seit Jahren litt er unter diesen imaginären Schreckensbildern, die unvermittelt und unkontrollierbar auftauchten. Das hatte natürlich nichts mit den plötzlichen Vorahnungen zu tun, die Profiler in Fernsehserien oft haben, all das war Quatsch. Diese Erscheinungen waren sehr viel realer, entstanden aus seiner Persönlichkeit und seinen Erfahrungen. Sie führten aber zu nichts, höchstens in den Wahnsinn.
    Mit einer angewiderten Geste verscheuchte er sie, schloss die Augen und kniete sich auf den Boden, bis er wieder zu seinem inneren Gleichgewicht zurückgefunden hatte.
    Die Geräusche des Lagerhauses hallten in einem endlosen Gang wider.
    Brolin setzte seinen Weg fort, leuchtete mit seinem Lichtstrahl in alle Winkel. Ein Luftzug strich an seinen Schläfen vorbei. Es gab hier so viele Löcher, verrostete Öffnungen und zerbrochene Fenster, dass daran nichts Ungewöhnliches war. Das Pfeifen des Windes setzte wieder ein, abgehackt. Das Gebäude atmete. Stoßweiser Atem.
    Um seinen Weg besser finden zu können, tastete sich Brolin an den Wänden entlang. Fast erwartete er, dass sie sich unter seiner Hand hoben und senkten. Er fühlte beinahe die laue Wärme, die langsam wieder in dieses Gemäuer zurückkehrte. Er befand sich im Rachen des Ungeheuers, trat auf seine Eingeweide. Jeden Augenblick konnte es ihn verschlingen.
    Der Lichtstrahl fiel auf ein metallenes Geländer: die Treppe.
    Joshua fuhr mit der Hand darüber, und das Rückgrat des Ungeheuers erbebte in einem Klirren. Der pfeifende Atem strich über sein Haar. Eiskalt.
    Er setzte den Fuß auf die erste Stufe, zögerte dann aber. Die Treppe führte in die Tiefe, in den Keller.
    Bob ist vor allem vorsichtig. Unten ist keine Luke, kein Kellerfenster, nichts lässt Lärm durch, es ist ruhig geschützt!
    Er ging hinab. Es schadete ja nicht, unten anzufangen. Seine Schritte auf dem Metall der Stufen hallten durch das ganze Gebäude. Unter der Erde war die Atmung des Lagerhauses verhalten, man fühlte sich besser aufgehoben.
    Eine Reihe von Räumen, die meisten leer. Rohrleitungen an den Wänden und am Ende ein riesiger Heizkessel, das schlafende Herz des Ungeheuers. Brolin hob den Kopf.
    Er kehrte in den vorherigen Raum, der im Gegensatz zu den anderen nicht völlig leer war, zurück. Überall lagen aufgerissene Kartons herum, die den Boden wie grobes Linoleum bedeckten. Brolin hob da und dort ein Stück Pappe hoch. Ein paar zerquetschte Insekten, nichts Besonderes. Trotzdem hatte er das Gefühl, am richtigen Ort zu sein. Fensterlose Mauern, geschützt unter der Erde, inmitten eines Labyrinths, sehr günstig für eine überstürzte Flucht.
    Die bedrückende Atmosphäre eignete sich außerdem für Rituale und bizarre Zeremonien. Brolin stellte sich Bob und seine Schergen nicht als Jünger Satans vor. Sie machten ganz andere, viel konkretere Dinge.
    Sie hatten die Kartons ausgelegt, damit sie das Blut bei dem Gemetzel aufsaugten.
    Die Lampe richtete ihr inquisitorisches Auge auf den Boden. Alles war so verfault und vermodert, dass keinerlei verwertbare Spuren geblieben waren. Joshua suchte dennoch weiter, bis er ein paar zerknüllte Zettel entdeckte. Drei zerrissene Papierknöllchen, die zwischen zwei Kartonteile gerutscht waren. Der eine Zettel war ein Flugblatt mit Werbung, von dem praktisch nichts für eine eventuelle Auswertung übrig geblieben war. Das andere …
    Aus dem Korridor hinter Brolin drang ein dumpfes Geräusch.
    Dieses Mal war es nicht das Ächzen des Gebäudes, sondern jemand, der an etwas gestoßen war. Der Privatdetektiv zog vorsichtig seine Waffe und richtete sich auf. So leise wie möglich schlich er an der Wand entlang, um in den Gang blicken zu können. Er atmete tief durch und warf sich, Lampe und Waffe vorgestreckt, mit dem ganzen Körper ins Unbekannte.
    Nichts.
    Mit großen Schritten drang er ins Dunkel vor, die vom Stress erzeugte Hitze durchflutete seinen Körper.
    Plötzlich tauchte im fahlen Licht seiner Lampe ein Schatten auf, dem unmittelbar hämmernde Geräusche auf der Metalltreppe folgten. Brolin stürzte los. Er hoffte, dass es ein Obdachloser war, jemand, der vielleicht etwas beobachtet hatte.

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