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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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links ab, stieg ein paar Stufen hinab und blieb vor einer Fackel stehen, die er mit seinem Feuerzeug anzündete. Der bernsteinfarbene Schimmer der Flamme vermochte das Dunkel kaum zu durchdringen und tanzte sanft auf den Mauern. Enrique trat zur Seite und hielt die Fackel nach unten.
    Eine uralte Tür wurde sichtbar.
    Eingehüllt in einen Schleier aus Staub und Spinnweben, schluckte der eiserne Rahmen das Feuer und ihr Holz jeden Rest von Mut. Denn in der Mitte trat das Gesicht des Teufels plastisch hervor, so als wäre es vor Jahrhunderten dort hineingeschnitzt worden. Mit seinen bedrohlichen Hörnern, seinen boshaft blitzenden Fangzähnen und seinen missgestalteten Augen.
    Enrique zog an dem Knauf, und die Tür öffnete sich mit einem diabolischen Quietschen.
    Die ersten beiden Stufen einer Treppe, die in den Stein gemeißelt waren, wölbten ihren Rücken dem dürftigen Licht entgegen.
    »Ich hoffe, du hast cojónes, hombre, denn du gehst voraus.«
    Aus dem unergründlichen schwarzen Schlund drang ein Heulen, weit entfernt, aber so realistisch, dass Brolin erschauerte.
    Enrique trat zur Seite und ließ ihn vorbeigehen.

58
    Sheriff Murdoch wohnte im Nordosten der Stadt, am Rande der Zivilisation. Man musste zunächst von der Landstraße in einen gewundenen Weg voller Schlaglöcher einbiegen, eine Brücke über einen lächerlichen Bach überqueren und einen sehr guten Wendekreis haben, um die letzte Kurve zu nehmen, ohne ein Mal zurücksetzen zu müssen. Annabel und Thayer folgten ihm mit ihrem Wagen bis zu dem abgelegenen Haus, einer alten Holzkonstruktion, die ihren Giebel dem sternenlosen Himmel entgegenreckte. Die Nussbäume, die das Haus umgaben, streckten ihre Äste in alle Richtungen, und der Wind pfiff heulend durch das kleine Wäldchen unterhalb des Hauses.
    »Das mit der schlechten Zufahrt tut mir Leid«, entschuldigte sich Murdoch, als sie ausgestiegen waren. »Das Haus ist groß, doch ich konnte es mir nur deshalb leisten, weil es in einem schlechten Zustand war und ausschließlich über diesen holprigen Weg zu erreichen ist. Bei Schnee oder Glatteis bin ich gezwungen, zu Fuß bis zur Landstraße zu gehen, wo mich dann einer meiner Mitarbeiter abholt.«
    In dem sich ankündigenden Blizzard fröstelnd, stapfte Annabel hinter dem Sheriff zum Haus und behielt ihre dicke Bomberjacke noch an.
    »Nehmen Sie schon mal im Wohnzimmer Platz. Ich bereite Ihnen schnell einen Glühwein zu, bevor ich mich ans Kochen mache.«
    Sie traten in einen lang gestreckten Raum mit einer Essecke vor der Fensterfront, die auf einen Balkon mit Blick auf das Wäldchen führte. Die Einrichtung war nüchtern, um nicht zu sagen kühl, die Möbel strahlten nicht die geringste persönliche Atmosphäre aus: ein Couchtisch mit Aschenbecher und Fernbedienung darauf, ein paar Bücher in einem Regal, eine Kommode, auf der ein Telefon und eine Lampe standen. Kein Foto, keine Grünpflanze, kerne Spur von einem Haustier. Alles hier sprach von Abwesenheit. Es war die Behausung eines selten anwesenden Mannes. Annabel fragte sich, ob er ein eingefleischter Junggeselle war, oder ob er vielleicht eine Liaison mit einer Frau in der Stadt hatte. Das geht dich einen feuchten Kehricht an, rügte sie sich. Doch sie konnte nicht umhin, an diesen anderen Junggesellen zu denken. Fast hatte es den Eindruck, mit jedem Jahrzehnt, das verging, würde es auch mehr einsame Seelen geben. Als könnte die Hoffnung auf Leben nicht wachsen, wenn unsere Einsamkeit zunahm.
    Thayer legte den Stapel mit den Akten auf den Tisch.
    »Damit kommt garantiert keine Langeweile auf.«
    Er trat an die Fensterfront und schaute hinaus.
    »Es fängt wieder an, kräftig zu schneien. Ich hoffe, wir sitzen hier morgen nicht fest …«
    Eric Murdoch erschien nach wenigen Minuten. Er hatte einen Pullover über sein weißes Polohemd gezogen, was ihn etwas weniger streng wirken ließ als seine Uniform. Er stellte ein Tablett auf den Tisch, und jeder legte die Hände um seinen Becher mit heißem Glühwein.
    In dem Schweigen, das folgte, hörten sie das Knarren des alten Hauses, dann wieder das Heulen des Windes und bisweilen das Ticken der Wanduhr im Flur.
    »Sie sehen müde aus. Alle beide«, bemerkte Murdoch.
    »Die Sache hat vor zehn Tagen begonnen. Zehn Tage ohne Atempause, das ist ganz schön zermürbend.«
    Den Blick in den dampfenden Glühwein getaucht, schwieg Annabel, so sehr war sie in ihre Gedanken versunken. Die Emotionen der vergangenen Woche hatten sie um Jahre altern

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