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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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nicht zu verlieren. Und die war bunt gemischt, alle Stile kamen hier zusammen, auch wenn eine gewisse Underground-Konstante vorherrschte. Tätowierungen blühten in einem Maße, dass Brolin sich fragte, ob sie nicht bald den Personalausweis ersetzen würden.
    Sie kamen an schummrigen Nischen vorbei, deren einzige Beleuchtung eine violette Kugel auf dem Tisch war, so dass die Gestalten ringsum auf den Sofas wie in Nebel gehüllt wirkten.
    Das erste Hindernis befand sich vor einer unauffälligen Tür, vor der ein wahrer Koloss stand, aus dessen Mütze pechschwarze Zöpfe hervorlugten. In Frakturschrift hatte er sich »FÜRCHTE MICH « auf die Arme tätowieren lassen, und trotz der finsteren Beleuchtung trug er eine Sonnenbrille. Als er Nemek sah, begrüßte er ihn knapp und legte eine Hand auf den Türgriff.
    »Er begleitet mich, ich bürge für ihn, er ist okay.«
    Der Riese musterte den Privatdetektiv und nickte, bevor er die Tür öffnete.
    »Guten Abend, meine Herren.«
    Vor ihnen lag eine lange gerade Treppe, von der das Echo der Bässe noch aggressiver widerhallte. Unten, in erhöhten Plexiglasboxen, die an Duschkabinen erinnerten, stellten junge Frauen ihre nackten Körper in einer lasziven Choreographie zur Schau – nur wenige Zentimeter von den Männern entfernt, die auf Stühle stiegen, um ihren Mund auf das durchsichtige Plastik zu drücken. Innerhalb von nur zwei Minuten, die es dauerte, den Saal zu durchqueren, konnte Brolin zwei Deals beobachten und sah eine junge Frau eine Crack-Tablette einwerfen, wobei sie ihm zuzwinkerte. Die Anwesenheit von Frauen hier war weit erstaunlicher als der freie Austausch von Drogen.
    Der zweite Raum hielt weitere Überraschungen bereit. Umgeben von einer Menge aufgekratzter Schaulustiger, die sich um Bühnen und Käfige drängten, überboten sich drei Männer und zwei Frauen bei einer Body-Piercing-Performance. Metallringe durchbohrten ihre Haut von den Augenbrauen bis zu den Kniekehlen. Alle fünf hingen an Ketten von der Decke, die mit Haken an den Ringen befestigt waren und schrecklich an ihrer Haut zogen. In perfektem Gleichgewicht glitten die fünf Gemarterten mittels Schienen in zwei Metern Höhe durch die Luft, und die Zuschauer mussten sich nur auf die Zehenspitzen stellen, um die Körper vorwärts zu bewegen. Die Haut an den Schenkeln der »Artisten« bildete dort, wo die Haken das ganze Gewicht hielten, drei Dreiecke, dasselbe am Hinterteil, am Rücken und an den Armen, und bei jedem Stoß musste man fürchten, dass einer der Ringe die Haut zerriss. Einer der drei Männer – er hing mit dem Bauch nach oben – hatte auch einen Ring in der Eichel, so dass sein aufgerichteter Penis jeden Moment zu zerreißen schien. Bei einer der beiden Frauen waren die Piercingringe an den Brustwarzen befestigt, was einen ähnlichen Effekt hatte. Die Menge tobte vor Begeisterung über diese Schwerelosigkeit der Qualen.
    Nach den Toiletten schüttelte Nemek einem weiteren Türsteher die Hand, der dem ersten zum Verwechseln ähnlich sah. Diesmal dauerte das Gespräch etwas länger, denn der schwarze Kleiderschrank wollte sich vergewissern, dass Nemek Brolin gut kannte und dass er sich auch wirklich für ihn verbürgen konnte.
    Nachdem auch diese Hürde genommen war, lag wieder eine Treppe vor ihnen.
    »Wie tief steigen wir denn noch hinunter?«
    »Sehr tief«, meinte Nemek mit todernster Miene.
    »Wie ist es möglich, dass es so viele Geschosse unter dem Club gibt?«
    »Wir sind in New York, Mann! Ich hab schon gehört, es würde mehr Raum unter als über der Erde geben. Unter Manhattan gibt’s eine andere Stadt, das Ganze hier ist durchzogen von unterirdischen Gängen und Stollen. Stillgelegte U-Bahn-Linien und -Stationen, verschiedene Netze der Wasserversorgung, die keiner mehr kennt. Außerdem uralte Abwasserkanäle und Stromleitungen, die aufgegeben wurden. Dann die unterirdischen Gänge, die von den Indianern gegraben wurden, ihre Totenstädte und all das, und dazu natürlich auch noch die natürlichen Höhlen, Gräben und Spalten … Dann all die Wartungszugänge, Hunderte von technischen Installationen und was weiß ich noch. Wenn sich einer ohne Karte oder Kompass allein in diese Unterwelt wagt, ist er ein toter Mann. Früher hat die Mafia in Red Hook in Brooklyn ihre Leichen entsorgt, heute gehört der Underground von Manhattan den Gangs.«
    Am Fuß der Treppe wurden sie von einem kleinen Mann im Seidenhemd empfangen, einem Latino mit pockennarbigem Gesicht.
    »¡Nemek!

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