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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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dann zurück in den Nachtclub » DOWN UNDER « geführt. Brolin hatte sich sofort nach draußen geflüchtet und versucht, Annabel anzurufen.
    Um nach diesem nervenaufreibenden Abstecher in die Unterwelt wieder zu sich zu kommen, entschloss er sich zu einem ausgiebigen Spaziergang. Er lief zunächst den Central Park North hinunter, vorbei am Morningside Park bis hin zur Cathedral St. John the Devine, deren massige Türme nachts regelrecht bedrohlich wirkten. Anschließend bog er in die Amsterdam Avenue ein, wo dank der Nähe zur Columbia University mit ihren vielen Studenten zahlreiche Lokale entstanden waren, die bis spät in die Nacht geöffnet hatten. Fest in seine Lederjacke gehüllt, trotzte er Schnee und Kälte und dachte über all das nach, was er gerade in Erfahrung gebracht hatte.
    Sie waren immer davon ausgegangen, dass die Caliban-Sekte aus drei Mitgliedern bestand. Darauf verwiesen die drei bei Spencer Lynch gefundenen Fotoarten ebenso wie die Notizen von Shapiro, in denen von einem Trio – Lynch, Bob und ihm selbst – die Rede war. Janine Shapiro gehörte der Gruppe nicht wirklich an, sie war lediglich das Instrument ihres Bruders, ihm gnadenlos ausgeliefert. Dasselbe hatte Brolin bei Malicia Bents vermutet, er hatte sie als Werkzeug in Bobs Diensten gesehen. Doch es war keine Frau, sondern ein Mann. Und noch dazu ein Cop.
    Wer ist er? Und wer ist Bob?
    Was wussten sie eigentlich über Bob?
    Er gab sich als Guru der Bruderschaft aus. Auch wenn er Lynch nicht persönlich kannte, war es doch Bob, der ihn durch Briefe instruierte, die ihm Lucas Shapiro übergab. Und er hatte sich auch an Annabel gewandt, ohne sich die Mühe zu machen, seine Schrift zu verstellen.
    Ohne sich die Mühe zu machen, seine Schrift zu verstellen.
    Ein Detail, das nicht zum Rest passte. Ein äußerst vorsichtiger Mensch, der keine unnötigen Risiken einging und keine Spuren oder Beweise für seine Beteiligung an den Entführungen zurückließ – wie war es möglich, dass er sich durch seine Schrift kompromittierte?
    Brolin strich die Haare zurück, die der Wind ihm ins Gesicht blies.
    Denk nach! Warum diese Vorsicht, keine Fingerabdrücke auf den Briefen an Spencer Lynch zu hinterlassen, und gleichzeitig dieser Leichtsinn, sich durch ein handschriftliches Dokument zu verraten? Was ist er für ein Mensch? Die Risikobereitschaft, Männer und Frauen zu entführen, zeugt von großer Selbstsicherheit und einem starken Willen. Er »sammelt« aus reiner Lust, hat keine Angst vor der Polizei, führt sie, im Gegenteil, an der Nase herum. Er erlaubt es sich, einen Menschen zu benutzen, um seine Nachrichten zu überbringen – ein Mittel, seine Allmacht und Arroganz zu demonstrieren. Bob kontrolliert die beiden anderen, Shapiro und Lynch, er ist der Meister, er ist stolz und machthungrig.
    Und trotz all seiner Vorsichtsmaßnahmen kaschiert er seine Schrift nicht, wozu ein Computer ausreichen würde, sondern bedient sich stets handgeschriebener Karten, selbst wenn er sich an die Polizei wendet. Annabel hat auf den Klebezetteln an der Kassette, die er bei ihr hinterlassen hat, eindeutig seine Schrift erkannt. Ist Bob so narzisstisch, dass er glaubt, über allem, zu stehen? Dass er nicht fürchtet, man könne ihn auf diesem Weg ausfindig machen?
    Nein, er hat durch seinen Modus Operandi und die Planung seiner Taten bewiesen, dass er trotz seiner unglaublichen Eitelkeit nicht die Selbstkontrolle verliert und äußerst clever ist. Die Handschrift ist also kein Versehen.
    Was ist sie dann? Eine Unterschrift? Eine Form der Individualität? Angesichts der Mittel, über die Polizeilabors und Graphologen heutzutage verfügen, ist es unmöglich, die Schrift erfolgreich zu verstellen. Das wusste auch Bob, der alles so perfekt und intelligent plante. Einerseits extreme Vorsicht auf allen Ebenen und dann die Dummheit, alles per Hand zu schreiben, was eine Identifizierung erleichtern würde. Genau das war das Paradox.
    Außer …
    Brolin blieb mitten auf dem Gehweg stehen. Das Licht der Schaufenster tauchte den Schnee in einen pastellfarbenen Schimmer.
    Außer er hat es absichtlich getan.
    Plötzlich sah Brolin vor sich, wie die Polizei zu Bobs Verhaftung ansetzte – und er ahnte hinter ihm einen Schatten, der an den Fäden seiner Marionette zog.
    Und wenn ich der Herr über eine Sekte erleuchteter Kannibalen wäre. Ein Mann, beherrscht von düsteren Instinkten, vom Streben nach Kontrolle, Macht und Dominanz. Ein Mann, besessen von Autorität und Ordnung

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