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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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Gedanken. Er hatte nur noch einen Wunsch: eine laute Bar finden und trinken, bis sein Gehirn nicht mehr wusste, wie es ihn mit diesen schmerzlichen Bildern quälen könnte, und dann durchschlafen, ohne an die Einsamkeit, das Leben, an die anderen und das Bild, das sie von sich abgaben, zu denken.
    Eine glückliche Reise, eingetaucht in die Stille des Alkohols.

19
    Ein scharfer, schneidender Wind strich über den East River, wirbelte das Wasser auf, dass die Gischt hoch aufspritzte. Der feine Schneefilm hatte sich nach und nach in eine dicke Decke verwandelt, und der Sturm, der vor Stolz angeschwollen war, spie jetzt seinen ganzen Zorn aus. Nach Mitternacht war die weitläufige Stadt gleichsam verschluckt und keines ihrer imposanten Gebäude mehr zu sehen.
    Im Dunkel seines Zimmers im Schatten der Türme, die ihn keineswegs zu beschützen vermochten, öffnete Pater Franklin-Lewitt die Augen. Der Wind heulte ums Haus und schlug mit seinen vielfältigen Melodien an sein Fenster. Der Pater kannte diese Musik nur zu gut und wälzte sich schlaflos in seinem Bett hin und her. Das konnte bis zum frühen Morgen andauern.
    Verärgert richtete er sich auf und schlug die Decke zurück. Es war kalt, er schlüpfte rasch in seine Hausschuhe und ging in die Küche hinunter. Das Licht des Kühlschranks tanzte im Zimmer wie ein Heiligenschein. William Franklin-Lewitt leerte ein Glas Milch in einem Zug und hoffte, dass ihm dieser nächtliche Spaziergang helfen würde, wieder einzuschlafen.
    Er wollte gerade wieder nach oben gehen, als ein eisiger Windzug um seine Waden strich.
    Der Priester bückte sich; die kalte Luft drang unter der Tür hindurch, die zur Kirche führte. Er dachte an die Lüftung im Badezimmer, die nie geschlossen war, doch ein so starker Durchzug konnte nur durch eine zweite Luftquelle entstehen. In der Kirche war eine Tür geöffnet worden.
    Nein! Jetzt fängt es wieder an! Heute Nacht kommt es wieder!
    Ein Schauer rieselte über seinen Rücken, Angst machte sich erneut in ihm breit.
    Mein Gott, nein! Gib, dass ich mich getäuscht habe.
    Er näherte sich der kleinen Luke im Treppenhaus, die auf die schmale Gasse ging, wo er die Mülleimer abstellte. Von hier konnte er seine Kirche sehen, zwei Meter gegenüber, und vor allem eines der Fenster.
    Und dort im Sturm erkannte er deutlich: Es bewegte sich.
    Der Prophet Zacharias, der den Einzug des wahren Königs auf seinem Esel verkündete, wiegte sich in einem Glorienschein von Schnee.
    »Heilige Jungfrau Maria, Mutter Gottes«, murmelte der Priester und bekreuzigte sich.
    Pater Franklin-Lewitt, der im Treppenhaus an der Wand lehnte, begriff, was vor sich ging, auch wenn ihn das keineswegs beruhigte. Das Fenster bewegte sich nicht, vielmehr hatte jemand dahinter Kerzen angezündet.
    Er nahm all seinen Mut zusammen und ging zur Tür, die vom Presbyterium zum Chor führte. Als er die Hand auf die Klinke legte, spürte er, dass ihm der Schweiß über das Gesicht rann wie Tränen. Er atmete tief durch und öffnete die Tür. Am Ende des Flurs schob er behutsam den Vorhang zur Seite und trat in jene Welt, in der er sich früher, ehe das Grauen hier eingedrungen war, im Einklang mit seinem Herrn gefühlt hatte.
    Die Kerzenflammen spiegelten sich auf dem Tabernakel. Sie schienen sich schamlos zu wiegen, aufreizend wie Suckuben.
    Man hatte Dutzende von Kerzen angezündet.
    Als sein Blick darauf fiel, fing sein Herz an zu rasen, und er biss die Zähne zusammen. Sie standen unter dem Fenster des Propheten Zacharias und tropften auf den Boden.
    Doch die Perlen, die hinab rannen, waren nicht aus Wachs. Sondern aus Blut.
    Jedes kleine Geräusch hallte im Kirchenschiff wider wie ein Schrei, und Pater Franklin-Lewitt hob die Augen zu dem Fenster.
    Blut lief über das Gesicht des Propheten.

20
    Die Stadt erwachte unter einem dreißig Zentimeter dicken weißen Teppich. Der Schnee fiel jetzt nur noch zögernd und spärlich und erzeugte am Himmel eine deutlich wahrnehmbare, fast beruhigende Bewegung.
    Die Sonne ließ – dem Winter verpflichtet – auf sich warten, und Annabel öffnete fröstelnd und noch schlaftrunken die Augen. Von ihrem Wecker, der zehn nach sechs Uhr anzeigte, ertönte die raue Stimme von Bruce Springsteen. Nur mühsam kam sie zu sich, denn das Treffen am Vorabend hatte bis spät in die Nacht gedauert. Annabel hatte Thayer das Stück Tesafilm übergeben und ihm die ganze Geschichte mit Brolin gebeichtet. Ihr Kollege hatte nicht protestiert und nur gesagt, er hoffe,

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