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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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Leiche abtransportieren wollten, haben sie die Tätowierung am Nacken entdeckt. Ein Strichcode wie bei unseren Opfern. Da der Sheriff unsere Bekanntmachung erst gestern Abend bekommen hat, erinnerte er sich noch gut daran; er hat sofort den Zusammenhang hergestellt und uns informiert. Bis wir da sind, dürfte der Zeitpunkt des Leichenfunds fast drei Stunden zurückliegen, und die Medien werden wohl schon völlig hysterisch reagieren.«
    Annabel schwieg. Sie hasste den Kontakt mit der Öffentlichkeit, vor allem mit der Presse. Die Journalisten führten sich auf, als hätten sie jedes Recht der Welt, und schöpften rücksichtslos alle Möglichkeiten aus, um an Informationen heranzukommen. Sie verlor in solchen Situationen schnell die Nerven, darum übernahm meist Jack diesen Part und sie die praktische Arbeit.
    »Haben sich die Cops an die Vorschriften gehalten?«, fragte sie, »ich meine am Tatort.«
    »Du willst wissen, ob sie gut sind? Keine Ahnung, ich glaube nicht, dass sie oft mit Mordfällen zu tun haben, darum haben sie wohl auch keine große Erfahrung.«
    »Hast du unserem Super-Detective Brett Cahill Bescheid gesagt?«
    »Er kommt direkt hin. Anna, das ist vielleicht der kleine Hinweis, der uns gefehlt hat, ich meine, die Tätowierung, da dürfen wir nichts übersehen.«
    »Klingt fast zu schön, um wahr zu sein.«
    »Eigentlich nicht. Ich habe auf dem Weg darüber nachgedacht, das liegt in der Logik der Dinge. In den letzten Tagen haben wir die Arbeit dieser … dieser Sekte, oder was auch immer es sein mag, ganz schön durcheinander gebracht. Innerhalb kürzester Zeit wurde ihre Existenz aufgedeckt, einer der ihren verhaftet und ein ganzer Stoß kompromittierender Fotos gefunden, von dem Rest ganz zu schweigen. Jetzt werden sie nervös, der Druck nimmt zu, vorsichtshalber entledigen sie sich belastender Beweise, für den Fall, dass … Und da sie gestresst sind, werden sie Fehler machen, zumindest in der ersten Zeit. Wir müssen sie also schnappen, ehe sie sich wieder beruhigt haben.«
    Annabel stimmte halbherzig zu. Indizien hin oder her, sie konnte den Tod eines Menschen nicht positiv sehen.
    »Wir lassen die örtliche Polizei ihre Arbeit machen«, fuhr Thayer fort. »Aber unsere Ermittlungen haben Vorrang. Wenn es Schwierigkeiten mit den Behörden gibt, kümmere ich mich darum. Falls nötig, kriegen wir genügend Unterstützung von oben, um freie Hand zu haben. Na ja, ich hoffe, dass es nicht dazu kommen wird …«
    Annabel seufzte und vertiefte sich in die Betrachtung der Landschaft.
    Obwohl die Räumfahrzeuge seit dem Vorabend ununterbrochen im Einsatz waren, kam es zu Verkehrsbehinderungen. Die Nacht wollte nicht weichen und hüllte den Horizont weiter in ihr dunkles Gewand, das sich über die Stadt und ihre Bewohner legte und Verdruss auf die verschlafenen Gesichter malte. Wenn man sie so in ihren Autos und auf den Gehwegen sah, musste man sich fragen, ob es sich lohnte zu leben, wenn man während des vierzigjährigen Berufslebens jeden Morgen mit so einer Miene herumlief. Das Berufsleben … Annabel stellte sich die Frage, wie viel Zeit einem eigentlich wirklich »zum Leben« blieb. Sie dachte an die Drugstores, an die Medikamente und die Kosmetika, daran, wie man täglich kämpfte, um sein Leben zu verlängern, um jung und schön zu bleiben bis sechzig und darüber hinaus, um hundert Jahre alt zu werden, doch um welchen Preis? Im Namen welchen Wahns. Für wen und für was?
    In der Einsamkeit wird die Zeit greifbar. Und die moderne Kultur lehrt uns, beides zu fürchten.
    Annabel öffnete das Fenster einen Spaltbreit, um frische Luft hereinzulassen, und schwieg, bis sie Larchmont erreicht hatten.

    Die Häuser von Mamaroneck und Larchmont, die die Küste säumten, spiegelten einen gewissen Lebensstil wider: Hier lebten Menschen, die viel arbeiteten und ebenso viel verdienten. Als der Ford in das Villenviertel fuhr, wo die Leiche gefunden worden war, stieß Thayer ein bewunderndes Pfeifen aus: Viele Anwesen hatten die Größe des Mietshauses, in dem er wohnte. Am Ende einer kurvigen Straße erreichten sie den Park am Long Island Sound, jenem Meeresarm zwischen Long Island und den Staaten New York und Connecticut. Dutzende von Autos und Lieferwagen, zumeist mit dem Logo eines Fernseh- oder Radiosenders versehen, waren hier geparkt worden. Der Park bestand aus einer etwa einen Kilometerlangen Grünfläche, die mit jetzt blattlosen Eichen und Hickorybäumen bestanden war. An diesem Januarmorgen war sie

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