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in China

in China

Titel: in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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Vorkehrungen getroffen worden waren, damit sie keinesfalls mit den Chinesen in Berührung kamen. Das war alles reichlich frustrierend. Sie überlegte wieder, wer von der Gruppe wohl der Agent sein könnte. Jemand von der Reisegruppe - ein Passagier an Bord wußte, was ihrer in Xian harrte und warum sie diese Reise angetreten hatte. Irgend jemand, sagte sie sich immer wieder. Aber wer?
    Von seinem Sitz im Flugzeug aus sah er auf den Hinterkopf von Mrs. Pollifax, die ein paar Reihen vor ihm saß. Als die Maschine abhob, fragte er sich, worüber Mrs. Pollifax auf dem Flug nach Xian und zu Guo Musu wohl nachdachte. Ihm war völlig schleierhaft, wie sie aus einem wildfremden Chinesen etwas herausbekommen wollte, noch dazu in der kurzen
    Zeitspanne, die ihr blieb, und unter den wachsamen Blicken von Mr. Li. Er schüttelte den Kopf. Wie konnte Carstairs nur auf diese Frau verfallen? Ihre Reiseroute verbot es ihnen, sich an irgendeinem Ort länger als vorgesehen aufzuhalten. Wenn es Mrs. Pollifax nicht gelang, den Kontakt herzustellen und die gewünschte Auskunft zu erhalten, würde er das
    Arbeitslager selbst vielleicht gar nicht finden. Die Entfernungen waren zu groß und die Zeit viel zu knapp bemessen.
    Er hatte sich fest vorgenommen, nicht zu weit vorauszudenken. Aber so von den anderen getrennt und mit zwei Chinesen als Nachbarn lockerte er die sich selbst auferlegte Selbstdisziplin ein wenig und ließ seine Gedanken frei schweifen. Er war sich natürlich darüber im klaren, daß es sehr schwer sein würde, diesen Auftrag auszuführen. Die Befreiung von X, falls es überhaupt dazu kam, war ja erst der Anfang. Es war ein merkwürdiges Gefühl, in der Theorie so viel über China zu wissen und diese Kenntnisse dann im Lande selbst mit der Wirklichkeit zu vergleichen. Es grenzte zum Beispiel an Schizophrenie, der Unterhaltung der beiden Chinesen, die neben ihm saßen, seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken und doch so tun zu müssen, als hätte er keine Ahnung, wovon die Rede war. Dabei verstand er jedes Wort. In Guangzhou beziehungsweise Kanton war er sehr in Versuchung gewesen, eine chinesische Zeitung zu kaufen, zum Beispiel Zhong Guo Qing Man Bao, die täglich erscheinende Zeitung der Jugend Chinas. In Amerika hatte er sie immer erst Wochen später bekommen. Doch er hatte seinem Impuls widerstanden und nur einen verstohlenen Blick auf die Schlagzeilen geworfen. Die beiden Männer zu seiner Rechten sprachen über
    Produktionsfragen. Sie waren beide Vorarbeiter in einer Fabrik und waren nach einer Kadersitzung in Guangzhou auf dem Weg zurück nach Xian. Ihr Gespräch machte ihn
    neugierig. Sie waren beide um die fünfzig. Der eine erwähnte Nanking als Geburtsort, der andere stammte offenbar aus Peking oder Beijing, wie es jetzt hieß. Oder vielmehr aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Beijing. Daß sie jetzt so weit entfernt in Xian lebten, hatte sicher seinen Grund im shangshanxiaxiang. Da wurden sie entwurzelt, ihrem Geburtsort und ihrer Familie entrissen, oder »hinauf in die Berge und hinunter in die Dörfer« verfrachtet, wie man sich auszudrücken pflegte. Maos großes Experiment: die Intellektuellen aufs Land, um Brunnen und Gräben zu graben und Felder zu pflügen, die Bauern in die Städte, wo sie geschult und gebildet werden sollten. Die Notwendigkeit des Ganzen sah er ein. In den Städten Chinas lebten viel zu viele Menschen.
    Man mußte sie umgruppieren und verteilen. Doch für gewöhnlich kehrten nur die Bauern, die jie ho, in die Dörfer zurück, wo sie geboren waren. Den anderen blieb das verwehrt.
    Die gebildeten jungen Leute, die chishiqingnian - blieben in der Verbannung auf dem Lande.
    Was mochte das für ein Gefühl sein, wenn man das College besucht hatte und dann in eine ganz entlegene Kommune in der Inneren Mongolei beordert wurde, wo man ein tu bao zi, ein Bauerntölpel war oder wörtlich übersetzt ein Klumpen Erde. Und das bis an sein Lebensende.
    Das war eines der erstaunlichsten Nivellierungsprojekte der modernen Zeit. Dadurch sollte einer Milliarde Menschen die richtige Ideologie eingeimpft werden, damit gedachte man die Irrlehren aus der Welt zu schaffen. Die Chinesen sollten China lieben, vom Verstand und vom Gefühl her. Die Regierung hatte sich zum Ziel gesetzt, das Volk dazu zu bringen, daß es vollstes Vertrauen zu dem System hatte und der Heimat treu ergeben war. Arbeiten ohne Bedingungen festzulegen. Arbeiten ohne Lohn dafür zu erwarten. Nur die Arbeit zählt und nicht der

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