in China
wollen den Chinesen wohl Konkurrenz machen, wie?« fragte er und wies auf ein Mädchen, dem ein langer dicker Zopf den Rücken hinunterhing.
»Ich kann es kaum erwarten, mir eine Mao-Jacke und Mao-Mütze zu kaufen«, verkündete sie. »Darin sollten Sie mich erst mal sehen!«
»Solche Käufe wünschen Sie zu tätigen?« fragte Miß Bai, die das mitangehört hatte. »Ich werde dafür sorgen, daß Sie morgen ein Kaufhaus besuchen können.«
»Fantastisch«, hauchte Jenny. »Vielen Dank!«
Xian hatte die gleiche Farbe wie die Berge, die sie überflogen hatten - terrakotta. Alles war mit Staub überzogen. Nur die wenigen Reisfelder und die frisch angepflanzten langen Reihen von Pappeln hatten ein wenig Abwechslung geboten. In Xian wurden überall neue
Wohnblocks errichtet, noch ohne Fenster und im Rohzustand. Doch die alten Hofhäuser zogen sich noch immer die Straßen entlang, und hinter den Neubauten schauten die winzigen Behausungen aus Lehm und Stroh hervor. Inmitten eines Heeres von Fußgängern und
Radfahrern fuhr der Bus auf die Stadt zu. Der Fahrer hupte unaufhörlich. In Xian selbst sah alles anders aus. Die Gebäude rückten näher zusammen. An jeder Kreuzung Anschlagtafeln, die vermutlich früher Maos Lehren verkündet hatten. Jetzt dienten sie als Reklameflächen für Seife, Toilettenpapier und Zahncreme.
Sie bekamen tatsächlich ein Hotel in einer verkehrsreichen Straße im Zentrum der Stadt zugewiesen. In ihrem Hotel in Kanton war der europäische Einfluß unverkennbar gewesen.
Bei diesem Hotel kam dagegen der russische Einfluß zur Geltung. Es war ein massiver quadratischer Block aus grauem Zement mit einer riesigen Stellwand und einem Wachposten vor dem Eingang. Der Geist Chinas sprach jedoch aus dem großen scharlachroten
Spruchband, das in goldenen Lettern auf chinesisch und auf englisch verkündete: UNSER
DENKEN BERUHT AUF DEN VON MARX UND LENIN ENTWICKELTEN
THEORIEN. MAO TSE-TUNG.
Verzweiflung packte Iris. »Aber ich habe Marx nicht gelesen!« rief sie. »Wie stand er zu den Frauen?«
»Er ließ Vorsicht walten«, behauptete Malcolm.
»Ich wette, das tun Sie auch«, meinte Jenny.
»Selbstverständlich«, sagte er. »Sonst wäre ich wohl kaum noch Junggeselle.«
»Was, Sie sind tatsächlich Junggeselle?« jauchzte Jenny. »Nicht mal eine winzig kleine Ehe?«
Mrs. Pollifax sah Jenny durchdringend an. Oberflächlich betrachtet wirkte Jenny sorglos und überaus lebhaft, doch war ihr aufgefallen, daß Jennys Worte zuweilen einen merkwürdigen Unterton hatten. Zum Beispiel wenn sie sich über Iris' Mißgeschicke lustig machte. Auch jetzt verriet sie sich durch ihre Stimme, aus der eine seltsame Rücksichtslosigkeit klang. Sie sprach so angestrengt. Aus ihrer Stimme klingt Verzweiflung, dachte Mrs. Pollifax und fragte sich, warum.
Sie kam nicht dazu, darüber nachzudenken; denn Mr. Li verkündete, das Abendessen werde in zwanzig Minuten serviert. Er wies auf das entsprechende Gebäude. Er schlug ihnen vor, am Abend gemeinsam im Volkspark spazierenzugehen. Er und Miß Bai könnten
währenddessen den Plan für ihren Aufenthalt in Xian ausarbeiten. Er erklärte ihnen noch, im Volkshotel gäbe es keine Zimmerschlüssel - das sei auch gar nicht nötig - und nannte jedem seine Zimmernummer.
»Daß es keine Zimmerschlüssel gibt, ist mir nicht geheuer«, jammerte Jenny, als sie die Treppe ins obere Stockwerk hinaufgingen.
»Wir sollten nicht vergessen, daß dies ein regierungseigenes Hotel ist, also eine staatliche Einrichtung«, wandte Mrs. Pollifax ein. »Vor dem Eingang zum Hotel ist ein Wachsoldat postiert, und am Empfang kommt niemand vorbei, ehe er genau unter die Lupe genommen worden ist.«
»Aber alle diese Leute«, wandte Jenny ein.
»Von denen droht Ihnen keine Gefahr, meine Liebe«, mischte sich Malcolm ein. »Selbst wenn einer auf die Idee käme, etwas zu stehlen, was ich bezweifle, wo sollte er es denn verkaufen? Sie müssen nicht immer so mißtrauisch sein«, schalt er sie und fügte trocken hinzu: »schließlich sind wir hier nicht in Amerika. Wer kommt übrigens nach dem
Abendessen mit in den Park?«
Ein Blick in ihr Zimmer genügte Mrs. Pollifax, und sie war fest entschlossen, den Abend im Park zu verbringen. Der Gedanke, den Abend in einem so winzigen, so unbeschreiblich finsteren und stickigen Raum zu verbringen, erschien ihr unerträglich. Der kleine Ventilator an der Decke gab glucksende Geräusche von sich, als sie ihn anstellte. Daher machte sie sich nach dem Essen
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