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in China

in China

Titel: in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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Mensch. Wir sollten ausgiebig über alles sprechen, was für die Reform von Vorteil ist, aber gar nicht über das, was ihr im Wege steht. Erziehung durch Arbeit. Dui shi, bi dui ren. Auf den Irrtum, den Fehler sind wir aus, nicht auf den Menschen. Danke dem Staat, indem du mit vollem Einsatz arbeitest, ohne an dich selbst zu denken.
    Doch von Bildung oder Erziehung durch Arbeit konnte bei X keine Rede sein, höchstens von Reform und Umerziehung durch Arbeit. Was mochte Wang nach mehreren Jahren in einem Reformierungslager für ein Mensch sein? Sicher hatte er durch Selbstkritik und Bekennermut Demut gelernt, um zu überleben. Wahrscheinlich hatte man ihm immer wieder eingeimpft, er müsse selbstlos für die Sache arbeiten. Was sich seit Maos Tod auch geändert haben mochte -
    in ein Arbeitslager in einer so abgelegenen Provinz würde es bestimmt nicht so leicht vordringen. Wenn Wang nicht inzwischen ein mustergültiger Gefangener war, dem die gewüns chte Ideologie in Fleisch und Blut übergegangen war, war er ein hoffnungsloser Fall und nur noch eine leere Hülle. Wer weiß, ob er dann überhaupt bereit war, aus dem Lager zu entfliehen?
    Ob er Wang wohl finden würde? Würde er ihn überhaupt erkennen, falls er das Lager fand?
    Vielleicht hatte er sich ja bis zur Unkenntlichkeit verändert. Aus einer alten Akte hatte man ihnen die Vergrößerung eines Fotos von Wang in die Hände gespielt, auf dem er noch viel jünger war... Genosse Wang, Ingenieur, begrüßt die Freiwilligen Helfer, die an der Verteidigung unseres Landes mitarbeiten, bei ihrer Ankunft im Norden. Sie sind aus Städten und Dörfern überall ins Land gekommen, um mit Freuden ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Das Foto trug kein Datum. Es war auch nicht festzustellen, welche politische Säuberungsaktion ihn hinweggeschwemmt hatte, ob und weshalb man ihn des
    revisionistischen Denkens beschuldigte und ihn für einen Konterrevolutionär hielt.
    Auch andere Faktoren und Variablen waren nicht bekannt. Von dem Holzfällerlager zum Beispiel wußten sie nur, daß es irgendwo in den Bergen von Tian Shan lag und auf drei Seiten von einem Strom eingeschlossen war. Die Strömung war so stark, daß man den Fluß nur zu Pferde überqueren konnte. Für die armen Teufel in dem Lager waren solche
    Hindernisse überflüssig; denn was nutzte es einem Gefangenen, wenn ihm die Flucht gelang?
    Wohin sollte er sich wenden? Er brauchte Ausweispapiere, eine Reiseerlaubnis, Gutscheine für Essen und Kleidung, und so weit er auch ginge, er wäre immer noch in China.
    Diese trüben Gedanken waren nicht etwa dazu angetan, sein Vertrauen in die Sache zu unterminieren, sie stellten nur ein logistisches Problem dar, für das er eine Lösung finden mußte, sobald sie Xian hinter sich hatten und sich Urumchi und der Bergkette von Tian Shan näherten. Er wußte, daß er gründlich geschult war, daß er praktisch keine Nerven hatte und über die Fähigkeiten verfügte, die für eine solche Aufgabe unerläßlich waren. Außerdem sprach er fließend chinesisch. Die unbekannte Größe, die ihm am meisten zu schaffen machte, war Mrs. Pollifax. Es mißfiel ihm sehr, daß der Erfolg seiner Mission von einer Fremden abhing, daß er ihr sozusagen ausgeliefert war. Einer albernen Frau in mittleren Jahren. Er hatte sich von Anfang an dagegen verwahrt und Carstairs klarzumachen versucht, daß er durchaus imstande war, selbst Verbindung mit Guo Musu aufzunehmen, doch
    Carstairs hatte Einwände geltend gemacht. »Wir würden Gefahr laufen, Sie zu verlieren. Das können wir uns nicht leisten. Die Kontaktaufnahme in Xian ist ungeheuer wichtig und viel zu gefährlich. Falls Sie geschnappt würden, wenn Guo Sie verriete, würden wir Sie verlieren.
    Wegen Ihrer Verbindung zu diesem Land sind Sie jedoch unersetzlich für uns. Eine solche familiäre Bindung ist zuweilen von unschätzbarem Wert. In diesem Fall erschien es uns ratsam, jemanden einzusetzen, der so harmlos erscheint, daß er über jeden Verdacht erhaben ist.«
    »So, und wer ist das?« hatte er voller Mißtrauen gefragt.
    Freundlich lächelnd hatte Carstairs erklärt: »Wir haben dabei an eine Frau gedacht.«
    Da waren sie nun alle beide, auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Gerade überflogen sie Berge, die von der Form und der Farbe her an Kamelhöcker erinnern. Hoch über China, einem Land mit einer der ält esten Kulturen. Er liebte dieses Land. Er wunderte sich selbst darüber; denn er liebte kaum etwas. Deshalb haßte

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