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in China

in China

Titel: in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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diesem Morgen weiter vorn im Kleinbus, und zwar neben Malcolm, als sei er fest entschlossen, sich einmal nicht mit Jenny abzugeben. Mrs. Pollifax hätte gern gewußt, worüber sie sich unterhielten. Unmittelbar vor ihnen saßen die beiden Reisebegleiter. Miß Bai unterbrach gelegentlich das Gespräch mit Mr. Li, griff nach dem Mikrophon und wies auf Feldarbeiter, eine Kommune oder eine Fabrik hin. Dann hielten sie ganz plötzlich auf dem Parkplatz der Ausgrabungsstätte. Vor ihnen lag ein weiter Hofraum, eingerahmt von tiefliegenden Gebäuden. Das größte hatte Ähnlichkeit mit einem Hangar.
    »Sie dürfen keine Fotos machen«, rief ihnen Mr. Li zu.
    »Nein, keine Kameras«, echote Miß Bai. »Wir treffen uns in einer Stunde wieder hier. Der Souvenirladen ist zu Ihrer Linken, daneben befindet sich ein Filmvorführsaal. Durch den Film, der dort gezeigt wird, erfahren Sie alles über den Grabhügel und die Ausgrabungsstätte, die von einmaliger kunstgeschichtlicher Bedeutung ist. Im Souvenirgebäude können Sie auch etwas zu trinken bekommen.«
    Mrs. Pollifax strebte zusammen mit Joe Forbes der hangarähnlichen Halle zu, die über der Ausgrabungsstätte errichtet worden war. »Aber ist das denn noch nicht das Grab?« fragte er erstaunt.
    »Ich glaube, mit dem Grab haben sie noch gar nicht angefangen«, erklärte sie ihm. »Das sind nur Statuen, die an der Peripherie gefunden wurden. Der erste Kaiser Chinas hat eine ganze Armee mit in sein Grab genommen. Doch er war barmherzig, es war keine lebende Armee.
    Ich finde, damit hat er seine Menschlichkeit bewiesen. Das spricht für seine Aufgeklärtheit.«
    »Sollte an dieser Stelle etwa auch eine Fabrik errichtet werden? Ist man so auf den Grabhügel und die Ausgrabungsstätte gestoßen?« spöttelte er.
    »In meinem Reiseführer steht, daß Arbeiter einer Volkskommune hier einen Brunnen graben sollten.« Scherze wie durch Plexiglas, dachte sie und warf einen raschen Blick in sein immer gleichbleibend freundliches Gesicht. Er lächelte, der Ausdruck blieb unverändert. Doch inzwischen wußte sie, daß er nicht der Mann war, den Carstairs zusammen mit ihr nach China geschickt hatte, daher fühlte sie sich nicht bemüßigt, hinter das Geheimnis seines Mangels an Persönlichkeit zu kommen. Womöglich gab es da gar kein Geheimnis, mußte sie sich sagen. Manche Menschen kamen einfach so zur Welt und blieben so: nett und
    freundlich, angenehm und umgänglich.
    Zusammen betraten sie die Halle, wo Mrs. Pollifax sofort an das Geländer trat, das sie von der Ausgrabungsstätte trennte. Was sie da sah, verschlug ihr den Atem. Sie war ganz sicher gewesen, daß sie wußte, was sie hier erwartete. Sie hatte darüber gelesen und sich auch Fotos angesehen. Doch aus dem Zusammenhang gerissen, waren das nur Fotos in einer Zeitschrift, nichts Reales. Die Umgebung und die spezifische Atmosphäre fehlten. Was sie hier sah, war so gewaltig, daß es ihr die Sprache verschlug. Die Erde war von breiten Gräben durchzogen.
    Darin standen Hunderte von Männergestalten in voller Lebensgröße, wie graue Geister aus der Vorzeit. In Habachtstellung harrten sie geduldig der Dinge, die da kommen sollten. Da standen sie in Reih und Glied in Schlachtformation - Soldaten, Wächter, Pferde und Streitwagen, soweit das Auge reichte, geschützt durch die riesige Halle von 200 x 80 in.
    Jedes Gesicht hatte seinen unverwechselbaren Ausdruck. Manche der Terrakotta-Gestalten hoben die Hand oder hielten den Kopf leicht zur Seite geneigt, als lauschten sie. Schweigend und geduldig füllte dieses Heer die Halle, so lebendig in Ausdruck und Gestik, daß es Mrs.
    Pollifax schien, als atmeten sie und seien - von der Erde befreit, unter der sie fast zweitausend Jahre begraben waren - wieder lebendig geworden. Keine Spur mehr von dem Gleichmut, der sie auf der Fahrt zu dieser berühmten Ausgrabungsstätte ganz benommen gemacht hatte.
    Malcolm war neben sie getreten. »Mein Gott«, flüsterte er ergriffen.
    Malcolm gefiel ihr. Sie lächelte. »Er muß ein mächtiger Kaiser gewesen sein. So viele mit ins Grab zu nehmen... Wie viele sind es eigentlich?« erkundigte sie sich.
    »Nach den letzten Zählungen fünfhundert Terrakotta-Krieger, sechs Streitwagen und vierundzwanzig Pferde. Aber man rechnet noch mit Tausenden.«
    Iris gesellte sich zu ihnen. Sie stieß einen Pfiff aus. Da standen sie und starrten in die Gräben hinunter, tief beeindruckt und begeistert, völlig weggetreten. Mrs. Pollifax, die als erste wieder zu sich

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