In dein Herz geschrieben
war es ihr, dass Menschen für das eintraten, woran sie glaubten. Annie Laurie verstand das. Hector war eine andere Geschichte. Er sah noch immer wie ein Bär mit einer verletzten Pranke drein, und Cassandra wirkte auch alles andere als begeistert. Tja, May hatte Wichtigeres zu tun, und wie hatte ihre Mutter immer gesagt? Sie hatten noch den Rest ihres Lebens Zeit, sich damit abzufinden.
32
Annie Laurie und Cassandra hatten gesagt, sie wollten angeln gehen. Aber es sah nicht so aus, als beiße etwas an. Ihre Stimmen, als sie lachten und sich unterhielten, drangen zum Haus herauf, und Doris verspürte einen Stich. Vermutlich Eifersucht. Für Cassandra war es einfach, so mit ihr zu reden, schließlich war sie nicht verantwortlich für Annie Laurie. Doris hingegen hatte andere Sorgen, als dem Kind eine Freundin zu sein.
Sie behielt Cassandra im Auge, seit Harry Jack sie darauf hingewiesen hatte, dass Hector etwas für sie übrig hatte. Nach der Episode mit dem anderen Mann, den sie geküsst hatte, machte sie sich allerdings keine allzu großen Sorgen mehr wegen Hector. Er musste es mitbekommen haben, als er die Einfahrt heraufgekommen war. Und der Vorfall neulich abends, als die Polizei aufgetaucht und Annie Laurie verschwunden war, hatte auch ihm mächtig zu denken gegeben. Trotzdem - Hector war ein erwachsener Mann und konnte auf sich selbst aufpassen. Annie Laurie dagegen war noch ein Kind, und es war die Aufgabe von Doris, sie zu beschützen.
»Hey, Oma.« Annie Laurie trat auf die Veranda und ließ sich neben Doris fallen. »Es ist so heiß, deshalb gehen wir jetzt schwimmen. Wir haben doch noch Zeit bis zum Abendessen, oder?«
»Ich denke schon«, meinte Doris. »Lauf und zieh dir den Badeanzug an. Ich muss kurz mit Cassandra reden.« Sie schaute aufs Wasser hinaus, bis sie Annie Lauries Schritte auf der Treppe hörte.
Cassandra setzte sich neben sie. Doris beugte sich vor. Es hat keinen Zweck, um den heißen Brei herumzureden, dachte sie, also bring das Ganze hinter dich. »Cassandra, ich möchte, dass du weißt, dass ich dich für einen anständigen Menschen halte.«
»Äh, danke.«
»Du arbeitest hart und hilfst hier sehr viel, nicht nur am Pier, sondern auch zu Hause und mit Annie Laurie. Und du sollst wissen, dass ich das durchaus schätze.« Sie räusperte sich. Es war doch schwerer als gedacht, aber es musste gesagt werden. Sie setzte sich aufrecht hin. »Also, keine Ahnung, wie viel du über Annie Lauries Mutter Bescheid weißt.«
»Nicht viel. Sie hat mir ein Foto von ihr gezeigt und erzählt, dass sie in New Jersey lebt.«
Doris nickte. »Richtig. Es ist Folgendes passiert: Sie ist durchgebrannt. Mit einem anderen Mann, einem Kerl von der Küstenwache, der in Ocracoke stationiert war. Sie dachte, sie sei eine gute Mutter, weil sie gewartet hat, bis Annie Laurie zur Schule geht, und meinte, auf diese Weise würde sie sie nicht so sehr vermissen. Nicht dass sie das Hector oder sonst jemandem vorher gesagt hätte. Sie hat die feige Variante gewählt und einen Zettel geschrieben, bevor sie sich eines Nachts aus dem Staub gemacht hat. Ohne Abschied, ohne alles.« Doris sah Cassandra ins Gesicht, registrierte ihre Wut und ihre Bekümmerung. »Seither hat sie sich nie wieder blicken lassen, hat nicht geschrieben oder angerufen. Nur einmal im Jahr schickt sie Annie Laurie eine Karte zum Geburtstag. Das ist der einzige Grund, weshalb wir wissen, wo sie wohnt. Und sie legt auch nichts zu der Karte, keinen Dollar, überhaupt nichts.«
Cassandra schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, wie sie so etwas tun kann.«
»Nun ja, Hector hätte sie nie heiraten dürfen. Aber egal. Der Grund, weshalb ich dir all das erzähle, ist, weil ich mir Sorgen um Annie Laurie mache.«
»Wieso?«
»Ihr beide habt in diesem Sommer schon eine Menge Zeit zusammen verbracht, und sie hat sich sehr an dich gewöhnt.«
»Ich genieße diese Zeit sehr. Sie macht mir nicht die geringste Mühe.«
»Tja, was mir allerdings Sorgen macht, ist, was aus ihr werden soll, wenn du erst einmal wieder weg bist. Dass Hector seine Frauengeschichten hat, mag eine Sache sein, aber ein Kind braucht ein stabiles Zuhause, keine Mütter, die sich die Klinke in die Hand geben.«
Cassandras Gesicht war dunkelrot angelaufen, und ihr Mund bewegte sich, als wolle sie etwas sagen, doch kein Laut drang hervor. »Ich bin keine von Hectors Frauen«, erklärte sie schließlich.
Doris wusste, dass sie sich lieber darauf beschränken sollte, über
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